„Bürokratieabbau“ ist als Schlagwort in aller Munde: Der Bund der Steuerzahler zeigte auf, dass sich die Bürokratie in den Bundesministerien in den letzten zehn Jahren um mehr als 6.000 Beschäftigte aufgebläht habe und warnt vor einer künftigen XXXL-Regierung, die den Steuerzahlern die Haare vom Kopf frisst. Auch die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ der Ex-Minister Peer Steinbrück und Thomas de Maizière legt ein Papier vor, das danach fragt, wie „wir eine Mentalität hinbekommen, in dem es heißt: „einen Antrag statt unzähliger Anträge“, – um weniger Bürokratie eben.
Wenn einer Schuld an der deutschen Misere hat, dann ist es die Bürokratie. Die Beseitigung „staatlicher Überregulierung“ ist zum obersten Ziel des liberalen Aufbruchs, – das Wort „Bürokratie“ zum Schimpfwort geworden. Doch je länger man ein Wort anschaut, wusste Karl Kraus, desto fremder schaut es zurück. Das Wort „Bürokratie“ schaut uns in jüngster Zeit nur noch abwesend, als sogenannter „Bürokratieabbau“ an.
Diejenigen, die dieses Wort in den letzten Jahrzehnten am liebsten in den Mund nahmen, meinten mit „Bürokratieabbau“ vor allem den Abbau politischer Ziele und Standards: Weg mit diesen überbordenden Sozial- und Umweltstandards, diesen nervigen Pflichten, weg mit diesem ständig Rechenschaft-Ablegen. Freie Bahn dem Unternehmertum, das noch bereit ist, etwas zu riskieren – und nach den Kosten für die Allgemeinheit erst hinterher fragt, wenn überhaupt.
Wenn Anhänger dieser wirtschaftsliberalen Auffassung mit in der Regierung sitzen, machen sie den „Bürokratieabbau“ auch zum politischen Programm. So geschehen letztmalig am 1. Januar dieses Jahres, als die Noch-Regierung das „Bürokratieentlastungsgesetz IV“ verabschiedete. Das Ziel war administrative Abläufe für Wirtschaft und Unternehmer zu vereinfachen. Darunter fanden sich in der Tat durchaus sinnvolle Gesetzesvorhaben wie kürzere Aufbewahrungsfristen für Buchungsbelege und die Digitalisierung von Rechtsgeschäften und Steuerbescheiden.
Die Bundesregierung hatte aber vergessen, sich selbst in den „Bürokratieabbau“ mit einzubeziehen., Mit 6.000 Beschäftigten mehr, sei eine künftige „XXXL-Regierung“ zu befürchten. Entsprechend solle, so der Steuerzahlerbund, jede dritte Stelle in den Bundesministerien abgeschafft werden. „Bürokratieabbau“ also auch in der Politik.
In die gleiche Richtung zielt auch die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“, die weniger Bürokratie und mehr Digitalisierung fordert. Doch sie präzisiert: Ein zentraler Punkt sei die Gesetzgebung. Es gehe darum, weniger, aber bessere Gesetze zu machen. – Womit sie nicht ins unverbindlich-allgemeine Gezeter von der „Überregulierung“ einfällt, sondern an den Wert staatlicher Regulierung erinnert und damit dem Wort „Bürokratie“ seine positive Bedeutung zurückgibt.
Denn in so überaus komplexen Gesellschaftssystemen wie dem unseren ist es unabdingbar, für alle gleich gültige und sichere Regeln aufzustellen, Unsicherheiten zu reduzieren und die Einzelnen vor der Willkür ökonomisch Mächtigerer zu schützen. Eben das, wofür staatliche Bürokratie steht. Wer sich anschauen möchte, was ohne sie geschieht, braucht nur hinüber in die USA und auf die dortigen Kettensägen-Aktionen zu schauen.
WDR3 Mosaik 13. März 2025