Cay Rademacher, Nacht der Ruinen

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Cay Rademacher, Nacht der Ruinen. Roman. Dumont-Verlag. 432 Seiten. 24 Euro.

https://www.dumont-buchverlag.de/buch/cay-rademacher-nacht-der-ruinen-9783755800347-t-7560

https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr/westart/nacht-der-ruinen-von-cay-rademacher-100.html

Schauplatz dieses historischen Romans ist das völlig zerstörte Köln im März 1945: Joe Salmon, der früher in Köln lebte und da Josef Salomon hieß, ist jetzt als ein amerikanischer Leutnant auf der Suche nach einem Mörder. Die Spuren führen ihn auch in seine eigene Vergangenheit zurück. 

Was hat George Orwell mit Konrad Adenauer zu tun? Und der mit der Schriftstellerin Irmgard Keun? Und die wiederum mit dem bekannten Fotografen Hermann Claasen? – Ganz einfach: Die reiche Phantasie des Autors Cay Rademacher bringt sie zusammen. Und zwar auf überaus plausible Art und Weise. Denn sie alle lebten tatsächlich im März 1945 in den Trümmern Kölns. – Bei einem der letzten amerikanischen Bomberangriffe landet hier der Fallschirm eines abgeschossenen Piloten, – ausgerechnet im völlig zerstörten Schiff der Kirche Sankt Kolumba. Und dort, zu Füssen der Madonnenstatue, erschießt ein Deutscher den Piloten.

Richard Rohrer, 2. März 1945, Sankt Kolumba, ein Deutscher mit einer Pistole – finden Sie heraus, was wirklich geschehen ist. Finden Sie heraus, Lieutenant, wer das Schwein war. Finden Sie heraus, ob er noch lebt. Und wenn ja: Finden Sie ihn!

So lautet der Auftrag des amerikanischen Stadtkommandanten an Joe Salmon, einen der vielen Tausend sogenannten Ritchie-Boys. Bevor er 1938 Köln im Alter von 17 Jahren verlassen musste, hieß Joe Salmon Josef Salomon, sein bester Freund hieß Jakub Blum – und beide waren sie in den gleichaltrige Teenager Hilda verliebt, – ein „arisches“ Mädchen aus „gutem Haus“.

Lieutenant Joe Salmon wird in Köln nicht bloß einen Mörder suchen. Er wird noch zwei weitere Menschen suchen, auch wenn das schmerzt.

Zunächst aber begibt sich Joe an den Ort der Tat, in die Trümmer der Kirche Sankt Kolumba. Dort stößt er auf den Fotografen Herrmann Claasen, der den ganzen Krieg über die unermesslichen Zerstörungen Kölns durch die alliierten Bomberangriffe dokumentierte. Deshalb ist es kein allzu großer Zufall, dass der auch am Abend der Tat in Sankt Kolumba war und den mutmaßlichen Täter fotografierte: Einen einarmigen Mann mit einer Pistole in der gesunden Hand. Gemeinsam mit seinem ständig Kaugummi malmenden Fahrer und begleitet von George Orwell, der als Berichterstatter für britische Zeitungen in Köln unterwegs ist, macht Joe Salmon sich an die Verfolgung des Mannes: Als er ihn stellt, wird klar, dass es nicht der Mörder sein kann. Er muss von vorne beginnen, seine Ermittlungskreise erweitern, läuft dabei im amerikanischen Hauptquartier auch Konrad Adenauer über den Weg.

Täuscht sich Joe, oder blitzen Adenauers Augen einen Moment lang belustigt, listig, intrigant? Dem macht das Strippenziehen noch immer Spaß, erkennt er, das glaube ich nicht, die Stadt liegt in Trümmern, und der spinnt Intrigen.

Fast unvermeidlich ist es, dass Joe bei seinen Recherchen in einer Stadt, die auf bloß 20.000 Einwohner geschrumpft ist, auch auf Hinweise stößt, die zu seinen beiden Jugendfreunden, Jakub und Hilda führen könnten. Jakub, erfährt er, versteckte sich im Haus der aus dem Exil zurückgekehrten Irmgard Keun. Von ihr erfährt er, dass Jakub 1942 denunziert und deportiert wurde. Von wem denunziert? In Joe wächst der Verdacht, dass der wohlhabende Arzt damit zu tun haben könnte, mit dem Hilda inzwischen verheiratet ist. Und war dieser Arzt nicht auch an jenem Abend in Sankt Kolumba, an dem der Pilot ermordet wurde? – Cay Rademacher hat einen überaus spannenden, klug konstruierten und sehr gründlich recherchierten historischen Roman geschrieben. Dass Prominente wie Orwell, Keun, Adenauer und Claasen darin eine Rolle spielen, geschieht sicher mit Blick aufs Publikum, aber warum nicht? Denn es verleiht der Geschichte neben den vielen kleinen Porträts von alten Nazis und schmierigen Denunzianten eine zusätzliche Authentizität, – was sie umso lesenswerter macht.

WDR5 Westart 1. März 2025