Marie Benedict, Die Mitford-Schwestern. Roman. Aus dem Englischen von Karin Gerwig und Marieke Heimburger. Kiepenheuer & Witsch. 414 Seiten. 17 Euro.
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Diana und Unity Mitford sind berühmt-berüchtigte historische Personen: Diana war mit dem britischen Faschistenführer Oswald Mosley verheiratet, Unity wurde von 1933 an zur engen Vertrauten Adolf Hitlers. Marie Benedict übernimmt die Perspektive einer dritten Schwester, der Schriftstellerin Nancy und legt einen spannenden historischen Familienroman vor.
Wenn nicht über die Mitfords, – über welche Familie sonst sollte ein Roman geschrieben werden? Sie geben wirklich alles her, was es zu einem abgründigen Society-Schauspiel braucht: Britischer Hochadel – der Vater ist der 2. Baron von Redesdale und so exzentrisch, wie man sich einen Aristokraten nur vorstellen kann. Sieben Kinder, eines eigenwilliger als das andere. Und ein Riss durch die Familie, der allen Stoff auch für ein hochkarätiges politisches Drama bietet. Denn es ist der Riss, der in der Zwischenkriegszeit durch Europa ging und zum 2. Weltkrieg führte. Diana, 1910 geboren, die drittälteste, schillerndste, schönste und kühlste der fünf Schwestern – verliebt sich 1932 in den britischen Faschistenführer Oswald Mosley, lässt sich scheiden und verfällt auch politisch dem Frauenhelden Mosley. – Zu Beginn des Romans besuchen die Schwestern Diana, Unity und Nancy – die älteste und die Ich-Erzählerin in diesem Roman – eine Veranstaltung von Mosleys Faschistenpartei, auf der er eine glühende Rede hält.
Auf einmal finde ich diesen inszenierten Pomp schrecklich albern und muss kichern. Diana sieht zu mir herüber, schmallippig und mit Zornesfalten auf der Stirn. Doch dann erhasche ich einen Blick auf Unity und schlagartig vergeht mir das Lachen. Ihre Mine spiegelt eine solch unterwürfige Hingabe, dass ich schaudere.
Ganz zu Recht. Denn wenig später, im September 1933, reisen Diana und Unity gemeinsam zum Parteitag der NSDAP nach Nürnberg und es gelingt ihnen, einen persönlichen Kontakt zu Hitler aufzunehmen. Für den ist England zu diesem Zeitpunkt noch kein Feind, sondern der arische Vetter und Mosleys Faschisten eine Brücke über den Kanal. Beide Schwestern entwickeln eine enge Beziehung zum „Führer“: Der wird später Trauzeuge bei Dianas und Mosleys Heirat in der Wohnung von Joseph Goebbels in Berlin. Und über Unity kursieren bald Gerüchte, sie verdränge Eva Braun von Hitlers Seite.
„Vielleicht bringen Sie mir ja auch Glück, Fräulein Unity Mitford“. Seine Augen leuchten, seine Hand streift ihre. „Dass unsere Wege sich gekreuzt haben, muss Schicksal sein.“
In chronologischer Folge von 1932 bis 1941 erzählt die Autorin Marie Benedict sehr nahe am historisch Verbürgten die Geschichte aus der wechselnden Perspektive der drei Schwestern. Wobei Nancy, die im wirklichen Leben 1931 als Romanschriftstellerin reüssierte und 1934 einen satirischen Roman über Mosleys britische Faschisten veröffentlichte, im Roman als Ich-Erzählerin eine Sonderrolle einnimmt: Sie fungiert als reflektierende und moralische Instanz. Denn nachdem Vater und Mutter Mitford sich ebenfalls zu Hitler-Anhängern gewandelt haben, geht sie auf Abstand und beginnt, den landesverräterischen Machenschaften Mosleys und Dianas hinterher zu spionieren.
Ich sehe meine Schwester forschend an, sie ist so eisig schön mit ihrem rätselhaften leichten Lächeln. Wenn ich mit meinen Privatermittlungen weiterkommen möchte, werde ich vorsichtig vorgehen müssen.
Es ist die ironische Pointe eines britischen Familienromans, dass Nancy ihre – schließlich erfolgreichen – kriminalistischen Ermittlungen im Auftrag eines nahen Verwandten, nämlich von Winston Churchill, unternimmt. Dessen Frau Clementine ist die Cousine der Mitford-Schwestern. Und natürlich fehlt auch die Tragik nicht: Die glühende Faschistin Unity schießt sich nach der Kriegserklärung Englands gegen Deutschland mit einer ihr von Hitler geschenkten Pistole in den Kopf, – und stirbt 1948 an den Folgen. So wird am Ende aus dem historischen Familienroman über die schrägen Mitford-Sisters auch noch eine spannend zu lesende, dramatische Kriminalgeschichte.
WDR5 Bücher 18. Januar 2025