Um den Vorschlag des grünen Kanzlerkandidaten Robert Habeck, Sozialabgaben auf Kapitalerträge einzuziehen, gibt es einen ungeahnten politischen Wirbel. Heftig positionieren sich vor allem diejenigen, die dagegen sind. Am lautesten schrie Markus Söder – ausgerechnet auf X: „Jetzt wollen sie auch noch ans Sparguthaben der Menschen und ihre Erträge ran!“ Dass Habeck nur große Kapitalvermögen ins Auge fasste, wird unterschlagen.
„Arbeit ist die denkbar schlechteste Art und Weise, seinen Lebensunterhalt zu finanzieren“ lautet eines jener vielen zynisch klingenden, Winston Churchill nachgesagten Zitate. Dabei ist dieses nicht zynisch, sondern zutiefst wahr. Denn bei exorbitant steigenden Beiträgen für die Solidarsysteme Krankenversicherung und Rente haben diejenigen, die mit Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen, kaum je eine Chance, es zu Vermögen zu bringen. Und das sind mehr als Dreiviertel der Deutschen.
Dagegen aber wächst der Anteil derjenigen unaufhörlich, die anderweitig ihren Unterhalt verdienen, durch Erbschaften, Mieteinnahmen oder Kapitaleinlagen. Die lassen, wie man so sagt, das Geld für sich arbeiten. Weshalb sie das privilegieren soll, nichts in die Solidarsysteme einzubezahlen, ist schon seit langem eines der bestbeschwiegenen Rätsel dieser Republik. Es hat eines solch brisanten Wahlkampfes wie des jetzigen bedurft, um es wenigstens einmal anzusprechen.
Viel mehr hat Robert Habeck tatsächlich bisher auch nicht gemacht, als er vorschlug, die „Einkünfte aus großen Kapitalerträgen“ auch zur Finanzierung der Solidarsysteme heranzuziehen. Genauer ist er allerdings nicht geworden. Deshalb konnte der empörte Aufschrei der Betroffenen und ihrer politischen Lobbyisten auch so laut ausfallen. „Herr Habeck greift den kleinen Sparern in die Tasche, um das Geld im großen Stil für grüne Subventionen umzuverteilen“ greinte wieder einmal reichlich unterkomplex Julia Klöckner von der CDU. Und aus der SPD hieß es, das sei „ein Schlag ins Gesicht der Sparer“.
Diese Tatsachenverdrehungen sind allerdings nicht nur schlicht, sondern bösartige Stimmungsmache. Habeck hatte ausdrücklich nur große Kapitalvermögen ins Auge gefasst, die ihren Beitrag zur gesellschaftlichen Solidarität leisten sollten. Dass dafür finanziell Schwächere durch Freibeträge entlastet werden sollen, lieferte erst der Grünen-Vorsitzende Banaszak nach. – Es ist das Unpräzise an Habecks Vorschlag, der ihn angreifbar macht, nicht die Idee selbst.In anderen europäischen Ländern, der Schweiz vor allem, aber auch in Frankreich, sind die Solidarsysteme längst auf eine breitere Basis gestellt als bloß auf die Arbeitseinkommen. Jetzt, wo Habeck das Tabu gebrochen hat, kommt es bei den hoffentlich nun beginnenden Diskussionen darauf an, präziser die Konditionen und die künftigen Beitragszahler zu benennen. Und auch noch ein paar weitere Tabus zu knacken, etwa das Aufgehen der privaten in gesetzliche Krankenversicherungen, also endlich die Bürgerversicherung anzugehen.
WDR3 Mosaik 16. Januar 2025