Ivy Compton-Burnett: Ein Haus und seine Hüter. Aus dem Englischen übersetzt von Gregor Hens
Aufbau-Verlag (Die andere Bibliothek). 369 Seiten. 48 Euro
Die Wiederentdeckung der 1969 verstorbenen britischen Schriftstellerin Ivy Compton-Burnett in Deutschland beginnt mit einem Überraschungs-Coup: Mit der „heitersten Geschichte über menschliche Verderbtheit“, wie Hilary Mantel im Vorwort schreibt. – Die noch im viktorianischen Zeitalter, nämlich 1884 geborene Ivy Compton-Burnett behauptete von sich, ein so ereignisarmes Leben geführt zu haben, dass es darüber nichts zu berichten gäbe. In der Tat lebte sie absolut zurückgezogen, heiratete nie, und zu den beiden Frauen, mit denen sie zeitlebens zusammenwohnte, unterhielt sie allen Gerüchten zum Trotz wohl keine Liebesbeziehung. Wenn man daraus einen Mangel an emotionalen Erlebnissen einerseits, eine gewisse Menschenverachtung andererseits ableiten möchte, findet man in den 18 Romanen, die sie schrieb, die Bestätigung dafür. Alle ihre Romane spielen in der Abgeschlossenheit viktorianischer Landhäuser, wo zwischen den Familienmitgliedern Intrigen und Missgunst in kräftiger Blüte stehen. »Wahnsinnig lustig und erschütternd … wie Jane Austen auf Droge.« schrieb Harper’s Magazine über „Ein Haus und seine Hüter.“
„Ist die Abendpost schon gekommen?“ „Ja, Vater, antwortete Sibyl. „Sie kommt immer um halb sieben.“ „Du solltest wissen, dass ich die Post sehen möchte, wenn ich dich frage, ob sie schon gekommen ist.“
„Die Hölle, das sind die anderen“, schrieb Jean-Paul Sartre. Es scheint, er habe, um zu dieser Erkenntnis zu kommen, Ivy Compton-Burnetts Roman ausgiebig studiert. Denn darin tyrannisiert nicht nur der Hausherr Duncan Edgeworth seine 18jährige Tochter Sibyl – und alle übrigen Hausbewohner. Auch diese selbst – neben Sibyl gibt es noch die ältere Schwester Nance, Duncans Neffen Grant und die Gouvernante Cassie – machen sich durch zynische Boshaftigkeiten und Intrigen das Leben im Herrenhaus gegenseitig zur Hölle. – Der Roman beginnt mit dem Tod von Duncans Ehefrau, Ellen. Ivy Compton-Burnett gewährt den Lesern einen tiefen Blick in menschliche Seelenlosigkeit, wenn sie beschreibt, wie teilnahmslos Duncan mit seiner kranken und sterbenden Frau umgeht. Noch nicht einmal ein Jahr nach ihrem Tod heiratet Duncan erneut. Die schöne Alison ist kaum älter als seine Tochter Nance.
„Ich glaube, Vater ist wirklich verliebt.“ „Das denke ich auch“, sagte Cassie. „Das ist wirklich entsetzlich“, sagte Grant. „Ein junges Leben zu ruinieren, nur um seine eigenen senilen Launen zu befriedigen! Was würde Tante Ellen dazu sagen?“
Das sagt der Richtige! Kaum ist Alison im Haus, beginnt Grant hinterm Rücken seines immerhin 66jährigen Onkels eine Affäre mit ihr, – mit Folgen allerdings, die seine Stellung als Erbe des Familiengutes ruinieren. Denn sobald Richard, dem neun Monate später geborenen Sohn Alisons, genügend Haare auf dem Kopf gewachsen sind, wird für alle sichtbar, dass er die gleiche weiße Haarsträhne wie sein Erzeuger, nämlich wie Grant, besitzt.
„Vater, mach es nicht größer als es ist“, sagte Sibyl. „Alison ist weg, sie traut sich nicht, dir unter die Augen zu treten. Sie gibt dir also Gelegenheit, in Ruhe alles zu sortieren.“ Duncan hörte es und sah sie mit schlichter Entschlossenheit an. Um seine Frau machte er sich wenig Gedanken. Was ihn antrieb, war die Angst um den Ruf seines Hauses.
Die viktorianische Szenerie ähnelt nicht von ungefähr der von Jane Austens ein Jahrhundert früher spielendem Roman „Stolz und Vorurteil“: Im Wohnzimmer eines reichen bürgerlichen Haushalts spiegeln sich hier wie dort melodramatisch die Konflikte einer von Habgier, Wollust und Machthunger getriebenen Gesellschaft. Was bei Compton-Burnett neu hinzu kommt, ist neben dem zynischen Witz der Dialoge ihr hintergründiger Humor: Fast alle Szenen sind auf manchmal sehr bizarre Weise komisch, angefangen vom Hin-und Her-Hängen von Ellens – der ersten Ehefrau – Porträt vom Speisezimmer ins Treppenhaus – und wieder zurück. Bis hin zu den skurrilen Heiratsanträgen, die Grant seinen beiden Cousinen macht, um wieder an sein Erbe zu gelangen. – Nicht zuletzt macht die fast ausschließlich aus Dialogen bestehende Erzählweise „Ein Haus und seine Hüter“ zu einem sehr modernen Roman. Findet man durch die damit anfangs verbundenen Komplikationen hindurch, wird man mit einem nahezu diabolischen Lesespaß belohnt.
WDR5 „Bücher“ 7. Dezember 2024