Heute beginnt in der russischen Stadt Kasan der diesjährige, bis Donnerstag dauernde Gipfel der BRICS-Staaten, eines sich nach den Anfangsbuchstaben der Gründungmitgliedern – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika nennenden Staatenbundes. Er wurde im Jahr 2006 mit dem Ziel gegründet, ein vom Westen unabhängiges globales Außenhandelssystem zu schaffen und erfreut sich seitdem wachsender Beliebtheit bei den sogenannten „Entwicklungsländern“, – aber nicht nur bei denen. Anfang dieses Jahres traten ihm auch Länder wie der Iran und, die Vereinigten Arabischen Emirate bei, – scharf auf eine Mitgliedschaft sind auch die Türkei und Saudi-Arabien. – Dass es dem russischen Präsidenten Putin gelang, die Präsidentschaft über dieses Gipfeltreffen zu ergattern, wird im Westen mit Besorgnis notiert, denn man befürchtet, dass er seinen Einfluss auszuweiten versucht.
„Wir haben einen Garten gebaut. Alles funktioniert“, so beschrieb Josep Borell, der Hohe Vertreter der EU für Außenpolitik, vor zwei Jahren in einer Rede Europa. Und er fuhr fort: „Der größte Teil der restlichen Welt ist ein Dschungel. Und der Dschungel könnte den Garten überwuchern.“ – Später entschuldigte er sich für diese Sätze. Doch die dahintersteckende Furcht, dass Europa vom unzivilisierten Rest der Welt belagert und bedroht wird, hat sich seitdem eher noch verstärkt.
Diese Bedrohung der westlichen Zivilisation insgesamt materialisiert sich im Schrecken verbreitenden Akronym BRICS. BRICS ist eine Vereinigung von Staaten, die eine neue globale wirtschaftliche Ordnung in Konkurrenz zu der des „Westens“ anstrebt. Und die Tatsache, dass das diesjährige Treffen dieses Bündnisses ausgerechnet in Russland und unter russischem Vorsitz stattfindet, hat den nicht gelindert.
Zumal BRICS seit seiner Gründung im Jahr 2006 eine gewaltige Attraktivität in der übrigen nicht-westlichen Welt entfaltet hat: Inzwischen sind ihm etliche weitere Staaten – Ägypten, Äthiopien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate beigetreten. Und mindestens 24 weitere potentielle Mitglieder wollen am Gipfel im russischen Kazan teilnehmen – darunter neben Saudi-Arabien auch die Türkei. Sie hat im September, also vor einem Monat, bekannt gegeben, dass sie als erstes NATO-Mitglied BRICS beitreten wolle.
Die Sorge vor den geopolitischen Konkurrenten von BRICS und ihren Anwärtern wächst. Dies zeigte sich beim vergangenen Besuch des deutschen Bundeskanzlers beim außenpolitisch notorisch unzuverlässigen türkischen Machthaber am vergangenen Wochenende. Zumal Scholz bei den mit der Türkei verabredeten Zusagen – umfangreiche Waffenlieferungen, die weitere Finanzierung der türkischen Flüchtlingsabwehr – etliche Prinzipien der bisherigen deutschen Außenpolitik über Bord warf und etwa die permanenten Menschenrechtsverletzungen in der Türkei vollkommen unerwähnt ließ.
Allerdings scheint es eher unwahrscheinlich, dass die Türkei auf dem ab heute stattfindenden BRICS-Gipfel neu in das Bündnis aufgenommen wird. Statt seiner baldigen Erweiterung hat der den Vorsitz führende Wladimir Putin die Festigung der bestehenden Strukturen zwischen den Mitgliedern auf die Tagesordnung gesetzt. Hauptsächlich die Schaffung eines gemeinsamen „sanktionssicheren Zahlungssystems“ steht auf dem Programm. Mit dem Ziel, jenseits des Dollar-gestützten westlichen einen eigenen, die „Entwicklungsländer“ nicht benachteiligenden Außenhandel zu organisieren. Welche Vorteile eine solche Währung für Putin und Co. hätte, kann sich jeder selbst ausmalen…
Ob das gelingt, steht dahin – die BRICS-Mitglieder sind sich bisher bei weitem nicht immer in allem einig gewesen. – Doch sicher ist, dass sich der „Garten Europa“ ganz dringend überlegen sollte, mit den Bewohnern des ihn umgebenden „Dschungels“ ins Gespräch zu kommen. Ohne seine demokratischen Prinzipien zu verkaufen.
WDR3 Mosaik 22. Oktober 2024