Das Bündnis ProTransplant, ein Zusammenschluss von über 20 Patientenverbänden und Selbsthilfegruppen, will durch eine Verfassungsklage den Gesetzgeber dazu zwingen, dafür zu sorgen, dass es künftig mehr Spenderorgane gibt.
Der Fernsehfilm „Fleisch“ des Regisseurs Rainer Erler wirkte 1979 wie ein regelrechter Schock: Bei einem Spaziergang wird ein Paar von der Besatzung eines Rettungswagens überfallen, der Mann entführt, die Frau kann entkommen. Nach gefährlichen Recherchen deckt sie auf, dass ein internationales kriminelles Syndikat solchen Menschenraub organisiert, um den Opfern Organe zu entnehmen und dann an zahlungskräftige Patienten mit Organdefekten zu verkaufen.
Eigentlich ist es ein Wunder, dass heute niemand diese Idee aufgreift: In Deutschland warten 8.496 Patienten dringend auf ein neues Organ. Viele von ihnen werden sterben, denn nur jeder zehnte von ihnen bekommt auch eines. Das ist erstaunlich, denn mehr als 80 Prozent der Bundesbürger würden im Fall ihres Todes gerne ein Organ spenden. Aber nur die wenigsten besitzen den dazu nötigen Spenderausweis. Solange man selbst kein Organ braucht, beschäftigt man sich nur ungern mit dem Thema Organspende.
Im Januar 2020 debattierte der Deutsche Bundestag bei der Neufassung des Transplantationsgesetzes heftig darüber, wie man dem eklatanten Mangel an Spenderorgangen begegnen könnte. Auf dem Tisch lag die von Jens Spahn und Karl Lauterbach vorgeschlagene sogenannte „Widerspruchslösung“. Danach sollte jeder Bürger im Falle seines Hirntodes als potenzieller Organspender eingestuft werden, solange er nicht widersprochen hatte. Mehrere europäische Länder verfahren so, z.B. Spanien, Belgien und die Niederlande. Die Organspendenzahlen sind dort höher als in Deutschland. Trotzdem lehnte die Mehrheit der Abgeordneten lehnte die „Widerspruchslösung“ ab. Sie sah darin einen Eingriff in die Selbstbestimmung des Einzelnen und einen „staatlichen Zugriff auf den menschlichen Körper“.
Stattdessen entschied sich der Bundestag für die sogenannte „erweiterte Zustimmungslösung“. Danach muss ein Spender nach wie vor zu Lebzeiten der Organentnahme explizit zustimmen. Darüber hinaus sieht das Gesetz aber ein Bündel von Aufklärungs- und Informationsmaßnahmen vor, um die Spendenbereitschaft zu erhöhen. – Wie jetzt feststeht, hat das Gesetz diesen seinen Zweck verfehlt und deshalb sehen Patientenverbände wie das „Bündnis ProTransplant“ keine andere Lösung mehr, als durch eine Verfassungsbeschwerde den Gesetzgeber zum Handeln zu zwingen.
Aber vielleicht braucht das Bundesverfassungsgericht gar nicht in Aktion zu treten. Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat gemeinsam mit anderen Gesundheitsministern im Bundesrat eine Initiative gestartet, die die Widerspruchslösung einführen will. Er geht davon aus, dass sein Gesetzesentwurf im Herbst wieder im Bundestag sein könnte. Vielleicht sind die Abgeordneten dort inzwischen etwas klüger geworden und beherzigen das Argument, das Karl Lauterbach seinerzeit in die Organspenderdebatte einbrachte: Was man von anderen erwartet, muss man auch selber tun.
WDR 3 Mosaik 21. Mai 2024