Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit

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Wie wehrhaft kann und soll eine Demokratie sein? Der Bundestag hat darüber beraten, morgen wird er voraussichtlich ein Gesetz verabschieden, das das Disziplinarrecht verschärft: Extremisten sollen schneller als bisher aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden können. Bislang vergehen knapp vier Jahre, bis Beamte aus dem Dienst befördert werden können, die die Bundesrepublik und ihre freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnen. – Ein wichtiger Schritt im Kampf für die Wehrhaftmachung der Demokratie. Aber reicht das aus, um rechten Hetzern, Verbreitern von Naziparolen wie etwa dem Oberstudienrat Björn Höcke, das Handwerk zu legen? Derzeit läuft in den Sozialen Netzen eine Initiative, per Petition an den Bundeskanzler ein weiteres Instrument zu aktivieren, nämlich den Grundgesetzartikel 18. Das ist die sogenannte „Grundrechtsverwirkung“. Wer die Freiheit der Demokratie missbraucht, dem kann diese Freiheit abgenommen werden kann. – Bisher ist diese Waffe noch nie mit Erfolg zum Einsatz gekommen.

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„Wir wollen nicht mehr“, sagte Carlo Schmidt 1948 während der Beratung des Grundgesetzes, „dass man sich auf Grundrechte berufen kann, um die Republik zu beseitigen.“ Und in den weiteren Grundgesetzberatungen hieß es: Eine Demokratie, die dem Missbrauch der Grundrechte untätig zusehe, verhalte sich – Zitat – „selbstmörderisch“. – Eben diese Erfahrung hatten die „Mütter und Väter“ des Grundgesetzes zuvor am Ende der Weimarer Republik machen müssen: Dass die Freiheit der Demokratie durch den legalen Gebrauch der Freiheit zerstört wurde.

Der Artikel 18, den sie zu dem Zweck, eben das zu verhindern, ganz vorne ins Grundgesetz aufnahmen, enthält den Gedanken, dass jemand seine Freiheit dadurch verwirken kann, dass er sie missbraucht. Im Einzelnen zählt er unter anderen diese Grundrechte auf: die Freiheit der Meinungsäußerung, die Pressefreiheit, die Lehrfreiheit und die Versammlungsfreiheit. Die Verwirkung dieser Grundrechte, verfügt Artikel 18, werde durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.

Die Folgen in der Praxis? Jemandem, der die Freiheit der Meinungsäußerung missbraucht, indem er beispielsweise öffentlich Naziparolen oder antisemitische und ausländerfeindliche Hetze verbreitet, würde dieses Recht auf Meinungsfreiheit genommen. Er dürfte nicht mehr auftreten. Es bedeutete nicht, dass ihm seine sonstigen bürgerlichen Rechte abgesprochen würden, er würde nur politisch, und das auch nur auf eine bestimmte Zeit, sozusagen mundtot gemacht werden. Vier Mal hat die Bundesregierung entsprechende Anträge vorgelegt – das Bundesverfassungsgericht wies alle ab. In allen vier Fällen handelte es sich um Rechtsextreme und in jedem kam das Gericht zu dem Schluss, dass sie der Demokratie nicht gefährlich genug seien.

Seit dem letzten Fall – dem fremdenfeindlichen Brandanschlag in Mölln 1992 – sind mehr als 30 Jahre vergangen und die politische Situation hat sich grundlegend geändert. Und zwar dadurch, dass rechtsextreme Feinde der Demokratie heute in Parlamenten, in Bürgermeister- und Landrätesesseln – und, wer weiß, demnächst auch in Regierungen sitzen. Also nicht nur theoretisch, sondern sehr praktisch die Möglichkeit besteht, dass die Freiheit der Demokratie durch den legalen Missbrauch der Freiheit zerstört wird.

Es könnte also sehr bald schon Gelegenheit und Anlass geben, den Artikel 18 und seinen Verwirkungsgedanken wiederzubeleben. Man muss den Schöpfern des Grundgesetzes für die Weitsicht dankbar sein, unserer Verfassung dieses Instrument einer streitbaren und damit wehrhaften Demokratie implantiert zu haben. 

WDR3 Mosaik 16. November 2023