Peter Frankopan, Zwischen Erde und Himmel

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Peter Frankopan, Zwischen Erde und Himmel. Klima – eine Menschheitsgeschichte. Aus dem Englischen von Henning Thies und Jürgen Neubauer. Rowohlt 2023. 1024 Seiten. 44 Euro

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Der Globalhistoriker Peter Frankopan spannt einen weiten Bogen, von den frühesten Quellen bis in unsere Gegenwart, und erzählt die Menschheitsgeschichte neu – wobei uns das, was wir heute als Verhängnis erfahren, in vielfältigster Gestalt wiederbegegnet: Klimatische Veränderungen haben den Aufstieg erster Hochkulturen etwa im Industal ermöglicht, aber auch zum Fall großer Reiche wie der Ming-Dynastie in China oder der Maya in Mittelamerika geführt; ein Naturereignis wie der Ausbruch des Vulkans Samalas auf Indonesien hatte im 13. Jahrhundert politische Auswirkungen noch im fernen England.

Vor wenigen Wochen fanden Erdwissenschaftler auf dem Grund des Kanadischen Crawford-Sees Zeugnisse für das sogenannte Anthropozän: In seinen Sedimentablagerungen ist die Verbrennung fossiler Rohstoffe schon vor Jahrtausenden, sind Düngerreste und auch das Plutonium aus Atombombentest nachzuweisen. Der verheerende Einfluss der Menschen auf den Planeten ist damit eine bewiesene Tatsache. Das kann Historiker wie Peter Frankopan, die sich mit der Globalgeschichte der Menschheit beschäftigen, nicht unberührt lassen. Im Gegenteil: Sie verändern grundlegend die Methoden der Geschichtswissenschaft.

Beim Schreiben des vorliegenden Buches war ich gezwungen, mich mit neuen Arten von Quellenmaterial zu beschäftigen, vor allem mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Ich musste lernen, diese Quellen zu interpretieren. In diesem Zusammenhang kam ich auch dazu, mich mit der Geschichte von Völkern und Orten zu befassen, über die ich zuvor noch nicht detailliert gearbeitet hatte.

Wer statt der Untersuchung von Urkunden und Staatsverträgen arktische Eiskernbohrungen zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen macht, dem verändert und weitet sich der Blick. Der erfährt aus den in Grönland gefundenen Blei-Spuren, dass bereits während des Römischen Reiches der Bergbau in Nordspanien und Germanien die Luft verschmutze. Der schaut über Europa hinaus und sucht auch anderswo auf der Welt nach Parallelen oder Pendants etwa zur „Römischen Warmzeit“: Jener Periode stabiler, niederschlagreicher klimatischer Verhältnisse zwischen 300 vor bis 500 nach Christus, die Roms Aufstieg zur vorherrschenden Macht in Europa begünstigte. Denn etwa im gleichen Zeitraum entstanden – ebenfalls dank günstiger Klimaverhältnisse – in Asien und Mittelamerika ähnlich große Städte bzw. expansive Reiche: In Mexiko wuchs Teotihuacán zu einer Megastadt und in China stieg die mächtige Han-Dynastie auf. – Doch dreht Peter Frankopan nicht plump die Erklärmuster der herkömmlichen Historiografie um und macht statt einzelner Herrscher und Reiche immer und einfach nur das Klima verantwortlich für geschichtliche Abläufe. 

Es mag verlockend sein, den ungefähr gleichzeitigen Aufstieg verschiedener Reiche allein den Klimaverhältnissen zuzuschreiben, doch viel bedeutsamer ist, dass jede dieser großen politischen Einheiten in der Lage war, die erforderlichen administrativen und logistischen Fähigkeiten zu entwickeln, ein gesellschaftliches, wirtschaftliches und politisches Gleichgewicht aufrechtzuerhalten.

Frankopan verfolgt mit seiner Globalgeschichte zum einen das Ziel, aus der Vergangenheit zu erklären, wie die Menschen die Erde so weit verwandeln konnten, dass sie nun einer existenzbedrohenden Zukunft entgegensehen. Er stellt auch dar, welchen Einfluss die jeweilig gegebenen klimatischen Bedingungen auf gesellschaftliche und politische Entwicklungen hatten und wie umgekehrt Herrschaftssysteme auf Veränderungen des Klimas reagierten: Ganz offenbar ging das große Reich um die Stadt Akkad im heutigen Irak gegen 2.200 v.Chr. in der Folge einer Jahrhunderte dauernden Dürreperiode zugrunde. Doch stellt sich bei näherem Betrachten heraus, dass die damals herrschenden Eliten es nicht vermochten, angemessen auf die neuen Bedingungen zu reagieren.

Es war weniger der Klimawandel, der Akkad in die Knie zwang, das Reich brach vielmehr unter seiner eigenen Last zusammen. 

Mit solch dialektisch geschultem Blick vermag Peter Frankopan die Menschheitsgeschichte tatsächlich erfrischend neu zu erzählen. Er unterschlägt natürlich nicht, welche langfristig zerstörerische ökologische Wirkung etwa die Kolonialzeit und der darauffolgende globale Raubbau an der Natur vom 16. Jahrhundert an hatten. Doch gibt es für ihn keine eindeutigen Kausalketten, immer schaut er auf die Wechselwirkungen zwischen Klimaveränderungen und menschlichem Handeln. – Die „Kleine Eiszeit“ genannte Kälteperiode zwischen 1550 und 1800 führte in vielen Regionen auf der Welt zu katastrophalen Hungersnöten und in der Folge zu Epidemien und Revolutionen. Doch waren die teilweise apokalyptischen Wetterextreme dafür nicht die alleinige Ursache. Sie verstärkten lediglich ohnehin schon bestehende, unter anderem durch die massive Urbanisierung in dieser Zeit verursachte ökologische wie politische Probleme. Nur dort, wo man Vorsorge getroffen hatte wie in Japan oder in den Niederlanden, blieb man von wirklichen Katastrophen verschont.

Das Geheimnis des Erfolgs lag im Alltag: Beamte und Verwaltungen waren kompetent genug, Probleme abzusehen, die anstehenden Schwierigkeiten einzuschätzen und entsprechend zu planen. Das heißt, das Klima wurde dort zum Problem, wo es bereits andere Probleme gab.

Auf solchen Erkenntnissen beruhen die Gelassenheit wie der Optimismus des Historikers Peter Frankopans angesichts des heutigen Klimawandels. Für ihn erleben wir gerade nicht das erste, sondern bereits das sechste Massenaussterben, nicht die erste, sondern eine von sehr vielen Wärmeperioden in der Menschheitsgeschichte. Die Frage für ihn ist, ob wir es schaffen, uns darauf angemessen einzustellen und anzupassen. Vieles in der weltweiten Kimapolitik, schreibt er, sei da zwar schon auf dem richtigen Weg. Aber:

All das kann uns in einem falschen Gefühl der Sicherheit wiegen und die Illusion erzeugen, dass schwierige Zeiten irgendwann auch wieder enden. – Historiker erinnern uns daran, dass es sich hier um Wunschdenken handelt.

Das Wünschen aber hilft nicht mehr. Jedenfalls ändert es nichts am vom Autor ausführlich dargelegten Grund für unsere aktuellen und kommenden Probleme: Dass wir seit langem schon über unsere Verhältnisse leben und jetzt darauf angewiesen sind, dass alles gut geht. Für Fehler gibt es keinen Spielraum mehr.

WDR3 Gutenbergs Welt 12. August 2023