„Krisenerwachsen“

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Jugendstudien – wie etwa die Shell-Jugendstudie, die es seit 1953 gibt, wollen auf empirischem Weg etwas über die Einstellungen, Werte, Gewohnheiten und das Verhalten der jungen Generation im weitesten Sinne in Erfahrung bringen. Wie „tickt“ die Jugend? – Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung gibt seit einiger Zeit auch bei Meinungsforschungsinstituten (in dem Fall infratest dimap und Kantar Public) Jugendstudien in Auftrag. Doch sie interessiert sich speziell für das Wahlverhalten von Jugendlichen. Ihre soeben vorgestellte Studie „Krisenerwachsen“ ist demnach auch eine „Jungwähler:innen-Studie“. – Nicht ohne Grund interessieren sich die großen, ehemaligen „Volksparteien“ für die jungen Wähler. Denn die laufen ihnen zunehmend davon. Bei den Bundestagswahlen 2021 haben junge Menschen vor allem die Grünen und die FDP gewählt, während SPD und Union ihre stärksten Stimmenanteile unter der älteren Bevölkerung hatten. Deshalb interessierten sich die Forscher dieser Studie besonders dafür, was die jungen Menschen in ihrer Wahlentscheidung motiviert hat, welche grundsätzlichen politischen Einstellungen sie haben und welche Werte ihnen wichtig sind.

Die Jugend ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Ein erster Blick auf empirische Jugendstudien lässt die Generation der 16- bis 30-jährigen ebenso langweilig erscheinen wie den gesellschaftlichen Durchschnitt. Da bildet „Krisenerwachsen“ keine Ausnahme: Zufriedenheit und Sicherheit ist dieser Studie zufolge das Wichtigste. Für die jungen ebenso wie für die übrigen Bürger. Im Großen und Ganzen sind die Jungen mit ihrem Leben genau so zufrieden wie alle anderen auch. Zwar beunruhigt die Zukunft die Jugendlichen etwas mehr als die Erwachsenen und sie fürchten besonders die Folgen des Klimawandels. Aber doch nicht so sehr, dass sie darüber in Panik gerieten. Denn wie der Rest der Bevölkerung vertrauen sie der Politik, dass die es irgendwie noch hinbiegt.

Nur ein genauerer Blick auf die Ergebnisse dieser Untersuchungen lässt Aufschlüsse über das Anderssein der Jugendlichen im Unterschied zur Gesamtbevölkerung zu. Im Fokus der letzten Shell-Jugendstudien beispielsweise stand die Zukunftserwartung der Jugendlichen, das für die Jugend Wesentliche also. Die Erhebung von 2006 dokumentierte noch eine große Angst vor sozialem Abstieg. In den Jahren darauf aber erhöhte sich die Zahl der optimistischen Jugendlichen. Man sprach von einer „Generation im Aufbruch“. Die letzte Shell-Studie hieß „Eine Generation meldet sich zu Wort“ und beschrieb eine wachsende Zahl von Jugendlichen, die sich engagierten, etwa in den „Fridays for Future“.

Der jetzigen „Krisenerwachsen“-Studie zufolge hat sich gegen den Anschein aller Proteste dieser Trend nicht verfestigt. Zwar sind die Jugendlichen im Unterschied zum Durchschnitt der Gesellschaft eher links im Sinne von mehr Gerechtigkeit, mehr Klimabewusstsein und mehr Diversität. 

Doch je mehr sie auf die 30 zugehen, desto mehr passen sie sich in ihren Einstellungen und ihrem Wahlverhalten der sogenannten „Mitte“ an, wählen weniger grün und mehr SPD und CDU. Ihr Vertrauen in die Demokratie und das Parteiensystem ist bei aller Kritik im Einzelnen ebenso ungebrochen wie ihre Lebenszufriedenheit. 

Damit scheint aber auch der Optimismus verflogen zu sein, das Selbstvertrauen, etwas in der Gesellschaft und der Politik bewirken zu können. Von einer „Generation im Aufbruch“ kann nicht mehr die Rede sein. Deutlich weniger als die Hälfte der Jugendlichen hat das Gefühl, in ihrer Umgebung und bei Themen, die ihnen wichtig sind, etwas verändern zu können. – Die Politik macht sich gerade daran, das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken, um jüngere Wähler zu mobilisieren. Damit würde nur das Wahlvolk vergrößert. Und nichts änderte sich. Ändern kann sich nur etwas, wenn die Jungen ihre Angelegenheiten mehr selbst in die Hand nehmen.

WDR 3 Mosaik 26. Mai 2023