Heute treffen sich die Vertreter der Bundesregierung und die der Länder in Berlin zu einem „Migrationsgipfel“. Dort wird es voraussichtlich heiß hergehen, denn es geht ums Geld. Die Länder wollen vom Bund mehr davon, um ihre Ausgaben für die Flüchtlinge zu bestreiten. Denn es gibt erheblich mehr Flüchtlinge zu versorgen und unterzubringen als in den Jahren zuvor: 2022 gab es 218.000 Erstanträge auf Asyl, mehr als in jedem Jahr seit 2017. Doch die Länder werfen dem Bund vor, dass seine anteiligen Zahlungen seit 2018 von 7,5 Milliarden auf 4,5 Milliarden Euro im Jahr 2022 zurückgegangen seien. Die Länder streben eine „faire Lastenteilung“ an, d.h. einen höheren Anteil des Bundes. Der aber stellt sich bisher mit Verweis auf die Notwendigkeit eines ausgeglichenen Etats für 2024 stur. – Die Verhandlungen versprechen also hart zu werden. Aber es wird dabei nicht nur ums Geld gehen, sondern perspektivisch zumindest ebenso darum, wie man die Kosten überhaupt senkt, und das bedeutet: Wie man es schafft, weniger Migranten ins Land zu lassen, weniger Asylanträge bearbeiten zu müssen. – Dazu hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser allerdings schon sehr konkrete Vorstellungen. Ob die sich mit dem Anspruch des deutschen Asylrechts vereinbaren lassen, ist eine andere Frage.
Mit dem Verweis auf die „Stimmung in der Bevölkerung“ lässt sich in Deutschland sehr gut Politik machen. Insbesondere eine Ausländerpolitik, der es darum geht, Migration einzuschränken. Im Vorfeld des heutigen Migrationsgipfels ließ Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen von der CDU mal das Zahlengeschacher beiseite, sprach Klartext und forderte eine „Migrationsbremse“. Ansonsten drohe ein „Integrationsversagen durch Überlastung“ und damit die Gefahr, dass die „Stimmung in der Bevölkerung“ kippt.
Die „Migrationsbremse“, die Stübgen hier ins Spiel bringt, soll darin bestehen, dass der Bund sich für eine „schärfere Asylpolitik der EU“ einsetzt, und zwar unter anderem mit Asylverfahren an deren Außengrenzen. Mit dem gleichen Gedanken spielt die deutsche Innenministerin Nancy Faeser nicht nur, sie hat sogar schon ganz konkrete Vorstellungen von einem gemeinsamen europäischen „Asylsystem“: Asylanträge sollen bereits an den europäischen Außengrenzen gestellt und die Migranten anschließend innerhalb Europas verteilt werden.
Sieht man einmal davon ab, dass eine annährend fairenVerteilung bisher nicht geklappt hat und auch weiter nicht klappen wird, weil eine Reihe von EU-Ländern da einfach nicht mitmachen: Mit einem solchen „Asylsystem“ würde das deutsche Asylrecht weiterhin unterminiert und absurdum geführt. Das geschah bereits 1997 durch das sogenannten Dublin-Abkommen, nach dem Asylanträge nur in den Erstaufnahmeländern der EU gestellt werden können. Dieses System brach 2015 zusammen und Deutschland bekommt seither die Masse von Asylanträgen nicht bewältigt.
Nun schreibt Nancy Faesers „Asylsystem“ die Absurdität des Dublin-Abkommens und damit auch die Scheinheiligkeit der deutsch Asylpraxis fort: Deutschland gewährt Asyl, will aber kein Asylverfahren in Deutschland haben. So besteht zwar nach wie vor das vom Grundgesetz garantierte Recht auf Asyl, es ist nur unmöglich, es wahrzunehmen. Wenn schon Griechenland und Italien überfordert waren, die große Zahl der Flüchtlinge überhaupt zu registrieren, geschweige ihnen Asylverfahren zu bieten. Wie sollten denn an den übrigen europäischen Außengrenzen solche ordentlichen Verfahren gewährleistet sein? Und welche Grenzen kämen da überhaupt in Betracht? Etwa die ungarische?
Schon im Jahr 2020 betrachtete der Europäische Gerichtshof die Unterbringung von Asylsuchenden in Transitzonen an der ungarisch-serbischen Grenze als unzulässige Inhaftierung. Daran anschließend fragt sich, ob nicht überhaupt die Auslagerung von Asylprüfungen an die EU-Außengrenzen mit Deutschlands flüchtlings- und menschenrechtlichen Ansprüchen vereinbar ist. – Doch was spielt das für eine Rolle, solange hierzulande ein „Integrationsversagen durch Überlastung“ und damit die „Stimmung in der Bevölkerung“ zu kippen droht?
WDR3 Mosaik 10. Mai 2023