Stefan Ineichen, Principessa Mafalda

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Stefan Ineichen, Principessa Mafalda. Biografie eines Transatlantikdampfers Wagenbach Verlag, 256 Seiten, 34 €tBiografie eines Transatlantikdampfers Wagenbach Verlag, 256 Seiten, 34 €

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Der Untergang des Flaggschiffs der italienischen Marine, der „Principessa Mafalda“ 1927 gilt als die größte Tragödie der zivilen italienischen Schifffahrt. Der Schweizer Autor Stefan Ineichen hat diesem Schiff und seiner Namensgeberin eine literarisch anspruchsvolle Doppelbiografie gewidmet.

Die Prinzessin Mafalda gab es gleich zwei Mal. Einmal die „wirkliche“ Principessa Mafalda, die 1902 geborene zweite Tochter des letzten italienischen Königs Vittorio Emanuele III. Und dann das nach ihr benannte, 1908 vom Stapel gelaufene Schiff „Principessa Mafalda“: Ein Ozeandampfer, als Passagierschiff eingesetzt auf der sogenannten La-Plata Linie zwischen Genua und Buenos Aires.

Der ‚Windhund der Meere‘, wie der neue Liner bald genannt wurde, war schnell und dabei wohl proportioniert. Über dem schwarzen Rumpf, der von einer weißen Plattenreihe abgeschlossen wurde, ragten vorne und hinten zwei Masten in die Höhe. Der dreistöckige Aufbau mittschiffs umfasste die Kabinen der Luxusklasse und die im Louis XVI-Stil dekorierten Gesellschaftsräume der zwei teuersten Klassen und trug die beiden Schornsteine.

Oft wie eine Liebeserklärung liest sich die Doppelbiografie Stefan Ineichens. Nicht nur der fließende Erzählstil des Autors macht aus ihr einen eher literarischen Text als ein Sachbuch: Poetisch ist schon der Einfall, die Geschichte eines Transatlantikdampfers eine „Biografie“ zu nennen: Behutsam wie mit dem eines Menschen geht Ineichen mit dem Schicksal des Schiffes um, feiert seine jugendliche Kraft und Schönheit und beschreibt später mitfühlend die Altersgebrechen des Dampfers. Großen literarischen Charme entfaltetet das Buch zusätzlich durch die innige Verknüpfung des Schiffslebens mit dem seiner Namensgeberin, der Prinzessin Mafalda. Dadurch nämlich, dass die „wirkliche“ Prinzessin Mafalda spätestens nach dem Untergang des Schiffes 1927 auf Abwege geriet und sich mit den Mächten des Verderbens, den italienischen Faschisten und der Elite der deutschen Nationalsozialisten einließ. Und da sie durch diese auch 1943 ihren Tod im KZ Buchenwald fand, wird die Geschichte der beiden Mafaldas am Ende zu einem bösen Märchen. – Märchen, böse wie gute, sind oft auch die Schicksale der Menschen, die das Schiff von Italien nach Südamerika transportiert: In ihrem Bauch, unter Deck in der 3. Klasse, hatten über 1.000 Passagiere Platz. Abertausende italienische Auswanderer gelangten darin Jahr für Jahr nach Südamerika. Eindrucksvoll beschreibt Stefan Ineichen deren Schicksal anhand vieler Beispiele, etwa des Anarchisten Gigi Damiani.  – Über Deck, in den oberen Klassen dagegen bewegen sich die gesellschaftlichen „Eliten“.

Die achtzehn ozeanischen Tage habe ich in Gesellschaft einiger Herrschaften verbracht mit sehr augenfälligen Manschetten, mit Knöpfen aus Gold und Malachit. Jeder Einzelne eingewickelt in eine eigene, äußerst elegante Wolke. Hinter ihren starren Augen ein ‚eiserner Wille‘ zu wollen – und zu können. Es waren Immobilienspekulanten oder Eisenwarenhändler, also Persönlichkeiten. Auch wenn die genuesischen Kellner sie Nummer 45, Nummer 127 nannten.

Schreibt Carlo Emilio Gadda, später einer der großen Erneuerer der italienischen Literatur. Hier an Bord der Mafalda aber ist er noch ein in Argentinien Arbeit suchender Ingenieur. – Eine Vielzahl damals schon illustrer Persönlichkeiten des künstlerischen Lebens bevölkern nach dem 1. Weltkrieg die Salons und das Musikzimmer der oberen Decks des Schiffes, unter ihnen Luigi Pirandello und Richard Strauss. – Stefan Ineichen gelingt die wunderbar anschauliche Darstellung eines Geflechts von Lebenslinien, die sich an Bord der „Principessa Mafalda“ kreuzen. Bei ihrem tragischen Untergang am 25. Oktober 1927 wurde für 314 von ihnen deren Schicksal dann auch ihr eigenes.

WDR5 Bücher 4. März 2023