Anthony Burgess in Malaya

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Die Karriere Anthony Burgess (1917-1993) als Schriftsteller (er war zeitlebens auch Komponist) begann Mitte der 1950 im damaligen britischen Protektoratsgebiet Malaya. Er arbeitete dort als Lehrer in einer britischen Eliteschule. Seine Freizeit verbrachte er in Kneipen, trank das ortsübliche „Tiger“-Bier und schrieb seinen ersten Roman.

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Anthony Burgess, Jetzt ein Tiger. Roman. Aus dem Englischen von Ludger Tolksdorf. Elsinor Verlag 2018. 232 Seiten. 26 Euro .Band 1 Der Malaya-Trilogie

Anthony Burgess, Der Feind in der Decke. Roman. Aus dem Englischen von Ludger Tolksdorf. Elsinor Verlag 2022. 220 Seiten. 32 Euro .Band 2 der Malaya-Trilogie

Anthony Burgess, Die Betten im Orient. Roman. Aus dem Englischen von Ludger Tolksdorf. Elsinor Verlag 2022. 244 Seiten 34 Euro . Band 3 der Malaya-Trilogie

I came here as a teacher but I left as a writer. I used to sit in kadais like this when my schoolwork was finished and sketch my first novel. Why this urge to record Malaya in fiction? Surely it had been done before and very adequately by William Somerset Moore. 

Nachdem er in den 1950er Jahren im britischen Protektoratsgebiet Malaya als Lehrer gearbeitete hatte, besuchte der inzwischen zum Bestsellerautor avancierte Schriftsteller Anthony Burgess in den 80er Jahren erneut das nun selbständige Malaysia. Hier, sagt er in einer der typischen, Kadai genannten Kneipe beim landesüblichen „Tiger“-Bier sitzend, habe er mit seinem ersten Roman begonnen. Und erzählt, was an diesem Land ihn dazu gereizt habe.

True enough but it was very much an outsiders Malaya the planters and their wives bridge in the club and adultery in the district offices bungalow. The Chinese and the Indians were very shadowy figures and the Malays were reduced to a pair of obsequious brown feet on the veranda. 

Als Anschauungsmaterial, erzählt Burgess weiter, habe ihm das seltsame Leben der britischen Farmer, gedient. Das bestand aus Bridgespielen in den Clubs und Ehebruch in den Bungalows. Chinesen und Inder gaben darin die Schattenfiguren ab und die Malayen selbst erschienen bloß als unterwürfige braune Füße auf den Veranden. – Die zentrale Figur von Burgess‘ Malaya-Trilogie ist Victor Crabbe. Er unterrichtet an einem britischen Elite-College als Geschichtslehrer und ist das Gegenbild eines Kolonialisten. Wie sein Alter Ego und Schöpfer ist er ein notorischer Querulant und ganz im Unterschied zu seiner Frau Fenella weder einverstanden mit dem Leben der Briten hier noch mit dem Kolonialismus überhaupt. Obwohl er mit der malaiischen Unabhängigkeitsbewegung sympathisiert, scheint er immer noch von der „Bürde des weißen Mannes“ überzeugt zu sein.

Aber wer erledigt die Arbeit, wenn nicht wir? Sie sind noch nicht bereit, das Ruder zu übernehmen.

Aus solchen Widersprüchen ergibt sich im ersten Band – „Jetzt ein Tiger!“ – nicht nur eine Menge Konflikt-, sondern auch ein hinreißender Komödienstoff. Denn der heimliche Held dieses Bandes ist der riesige und ewig betrunkene britische Polizist Nabby Adams, der vom Titel-gebenden Tiger-Bier mehrere Dutzend Flaschen braucht – täglich. Die Fürsorge für dieses „mutterlose Wrack“ Nabby Adams lenkt Crabbes Frau Fenella von ihrem Heimweh nach England wie auch von den Seitensprüngen ihres Mannes ab.

Nabby sprach auch eine andere Seite in ihr an, die gelehrsame Seite. Sie liebte jede seiner abgedroschenen Phrasen und spielte sogar mit dem Gedanken, seine Aussprüche in einem Buch mit Aphorismen zu sammeln. – „Ich bin kein Freund von der Kirche, Mrs. Crabbe, aber für eine schöne Lethargie habe ich immer was übrig.“ – „Eine schöne…?“ „Lethargie.“

In diesem komödiantischen Ton geht es in den folgenden Bänden der Trilogie weiter: Fenella trennt sich von Crabbe und kehrt nach England zurück. Er selbst avanciert zum Leiter eines Schulamtes und hat es dort mit intriganten malaiischen Kollegen zu tun. Denn die Unabhängigkeit steht jetzt kurz bevor und die Einheimischen drängen an die Macht. Dieser Machtkampf legt ein grundsätzliches Problem des Landes bloß: Den gegenseitigen Hass der drei hier lebenden unterschiedlichen Ethnien. Die hinduistischen Tamilen hassen die buddhistischen Chinesen wegen ihres Reichtums und die muslimischen Malaien wegen ihrer Machtgier. Umgekehrt verachten die Malaien die Tamilen, weil die in die von den Briten geräumten Schlüsselpositionen des Landes drängen. Malaya bzw. Malaysia – und das ist das politische Hauptthema der Trilogie – befindet sich in einem unentwirrbaren Chaos rassistischer und religiöser Vorurteile, das übrigens kurz nach der Unabhängigkeit zu einem Bürgerkrieg führte. – Anthony Burgess‘ Malaya-Trilogie erweist sich als eine groß angelegte Tragikomödie, deren Anliegen zwar ernst ist, deren Protagonisten jedoch allesamt nicht nur komische, sondern lächerliche, in ihren egoistischen Bestrebungen hoffnungslos verstrickte Figuren sind. Das wirkt heutzutage nicht sonderlich politisch korrekt. Denn Burgess‘ oft beißender Spott zielt nicht nur auf die Marotten der Kolonialisten, sondern auch auf die spezifischen ethnischen und religiösen Eigenarten seines einheimischen Personals. Einzig seine Hauptfigur, Victor Crabbe, ist von diesem Spott ausgenommen. Dafür trifft ihn aber umso unerbittlicher die Ironie des Schicksals, das sich Burgess für ihn ausdachte: Zuerst verliert er seine menschenfreundlichen Ideale und am Schluss bei einem slapstickhaften Unfall auch noch sein Leben. Kurz davor aber noch gewinnt er beim Gesang einer Kellnerin die Erkenntnis, die ihn von der selbst auferlegten „Bürde des weißen Mannes“ befreit.

Es war eine pentatonische Melodie, streng und dünn wie der Körper des Mädchens. „Sie sind zivilisiert“, dachte Crabbe. „Was für ein unglaubliches, schwindelerregendes Zusammentreffen der Kulturen: Islamische Texte, die über die chinesische Mauer wucherten, ein zwölfbeiniger Gott, der mit glupschäugigem Wohlwollen herabblickte.

Anthony Burgess‘ Genie besteht darin, diabolisch gute Unterhaltung mit einem ernsten Anliegen zu verbinden. Seine – übrigens auch kongenial unterhaltsam übersetzte – Malaya-Trilogie stellt das nachdrücklich unter Beweis. Und sie bringt uns last not least mit hinterlistigem Vergnügen die Probleme des so genannten „globalen Südens“ nahe.

WDR 3 Kultur am Mittag, 25. November 2022