In der Literatur gibt es das merkwürdige Phänomen der Ein-Buch-Autoren: Einmal in ihrem Leben gelang ihnen ein bahnbrechender Erfolg, – und danach verstummten sie oder man hat nie mehr etwas von ihnen gehört. Gianfranco Calligarich, 1947 geboren, scheint zu dieser Sorte Autor zu gehören. Sein Roman „Der letzte Sommer in der Stadt“ erschein 1973 zum ersten Mal und war er ein großer Erfolg. Er verschwand dann aber auf unerklärliche Weise aus den Buchhandlungen. Das wiederholte sich im Jahr 2012. Und jetzt, beim dritten Erscheinen, muss man hoffen, dass er noch viele Leser findet. Denn betörender kann niemand die dekadente Stimmung der „Ewigen Stadt“ und das traurige Schicksal ihrer zu ewiger Melancholie verurteilten Bewohner schildern als Calligarich.
Gianfranco Calligarich, Der letzte Sommer in der Stadt. Aus dem Italienischen von Karin Krieger. Zsolnay Verlag. 208 Seiten. 22. Euro
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Dass das Leichte eigentlich unerträglich schwer ist, wissen wir nicht erst seit Milan Kundera. Zumindest für das Schreiben gilt seit jeher, dass es nichts Schwierigeres gibt, als mit perlendem Parlando Unbekümmertheit an den Tag zu legen, wo doch tiefste Traurigkeit herrscht. Wenn einer diese seltene Kunst beherrscht, dann ist es Gianfranco Calligarich.
Übrigens läuft das immer so. Da tut einer alles, um sich rauszuhalten, und dann findet er sich eines schönen Tages, ohne zu wissen, wie, in einer Geschichte wieder, die ihn schnurstracks ans Ende bringt.
Leo Gazzara, der knapp dreißigjährige Erzähler dieser Geschichte, hat, wie man so sagt, einen Schlag bei den Frauen. Er erinnert den Leser ständig an den rätselhaft schönen Marcello Mastroianni, dem diese Begabung auch nie allzu wichtig schien. Wie Marcello in seinen Rollen wandelt auch Leo in einer Wolke der Melancholie durch Rom und die römische Gesellschaft. Die Schönheit der Stadt und das Leben auf ihren Piazzas und in den Bars versteht er durchaus zu genießen. Traumwandlerisch gleitet er vom Campo dei Fiori über die Piazza Navona hinauf zu den Terrassen des Camidoglio. Doch auf die sich allabendlich versammelnde Gesellschaft aus Schauspielrinnen, Romanciers mit weißen Schnurrbärten, verhätschelten Poeten und verarmten Adligen kann er eigentlich verzichten.
Sie nahmen alles auf die leichte Schulter. Sie waren oberflächlich und von sich überzeugt. Sie zerschmetterten einen mit einem Spruch und gingen dann zum nächsten Sessel in Reichweite weiter.
Ziellos stolpert Leo durch sein Leben und kann sich nicht dafür entscheiden, „ins Rennen zu gehen“, wie er sagt. Denn sowohl bei den Leuten, die es zu was gebracht haben, beobachtet er immer wieder das gleiche unzufriedene Gesicht wie bei denjenigen, die noch nicht einmal losgegangen sind. Also beschließt er, dass es besser ist, dem Leben „bloß zuzuschauen.“ Er begnügt sich mit einem mickrigen Job bei einer Sportzeitung, versucht sich gemeinsam mit seinem alkoholkranken Freund Graziano an einem Drehbuch – und dann – begegnet er eines Tages in eben der Gesellschaft, die er eigentlich hasst, Arianna, einer ebenso gebildeten wie zynischen jungen Schönheit.
Hunger? Ist das nicht dieses indische Dings, das sich einstellt, wenn man einen Aperitif trinkt?
Arianna und Leo flirten heftig, ziehen beschwipst gemeinsam durchs nächtliche Rom, schlafen auch eine Weile miteinander, halbherzig ringt sich Leo mal zu einem „Ich glaube ich liebe dich“ durch. Doch als Arianna ihn ernsthaft fragt, ob er sie liebe, sagt er „nein“.
„Nein“, sagte ich noch einmal. Mir schien, dass ich den ganzen Rest meines Lebens nichts anderes mehr sagen konnte als nein.
Die Liebesgeschichte mündet in Leere und Abwendung. Zu sehr sind nicht nur Leo und Arianna, sondern alle Protagonisten dieses Romans in einer hoffnungslosen Einsamkeit gefangen, die sie einerseits für andere unnahbar macht, sie gleichzeitig aber auch selbst an einem wirklich freudvollen Leben hindert. – Die unendliche Melancholie dieses so wunderbar leichten Romans mag ein Relikt aus den 1960er Jahren sein. Es stimmt trotzdem sehr traurig, dass heute solche Romane kaum mehr geschrieben werden.
WDR 5, Bücher 1. April 2022