Virginia Woolf, Montag oder Dienstag

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Virginia Woolf, Montag oder Dienstag. Neu übersetzt von Antje Rávik Strubel. Mit Illustrationen von Vanessa Bell. C.H. Beck. 112 Seiten mit 5 Abbildungen. 16 Euro

https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/buecher/lesefruechte/montag-oder-dienstag-100.html

Eine kleine Frauengesellschaft trifft sich zum Tee und unterhält sich dabei – nein, nicht über Gott und die Welt, sondern über das sehr ernsthafte Thema, worin das Ziel des Lebens besteht. Ihre vorläufige Antwort ist, dass es darin besteht, gute Menschen und gute Bücher hervorzubringen. Herauszufinden ist allerdings noch, inwieweit diese Ziele in einer zweifelsfrei von Männern dominierten Welt von den Männern auch tatsächlich erreicht werden. Und: Was die Frauen anders zu dieser Welt beitragen können, als eben diese Männer zu gebären. Zur Beantwortung dieser Frage schwärmen die Frauen aus und erkunden die Männerwelt, einige im British Museum, andere in Gerichtssälen oder in Cambridge. Nach fünf Jahren liefern die Botschafterinnen ihre Berichte ab.

Die Wunder der Zivilisation übertrafen unsere Erwartungen bei weitem und als wir zum ersten Mal davon erfuhren, dass der Mann durch die Luft fliegt, über Entfernungen hinweg Gespräche führt und zum Herzen eines Atoms vordringt, drang ein Murmeln der Bewunderung über unsere Lippen. „Wir sind stolz“, riefen wir, „dass unsere Mütter ihre Jugend für eine solche Sache geopfert haben!“

Die scharfzüngige Ironie der Erzählung „Die Gesellschaft“ nimmt bereits eines der Lebensthemen Virginia Woolfs vorweg. Eine paar Jahre später wird sie es in ihrem berühmten Essay „Ein Zimmer für sich allein“ ausformulieren und präzisieren: Welche Rolle können sich die Frauen in einer patriarchischen Welt erobern?In den übrigen Prosastücke dieses 1921 erschienenen Erzählungsbandes bereitet die Autorin auf ähnliche Weise sowohl die Themen wie die erzählerischen Strategien ihrer späteren Romanwerke vor. Die Leser finden sich bei der Lektüre in einem Laboratorium wieder, in der Werkstatt der avantgardistischen Romanschriftstellerin. Hier erkundet sie neues literarisches Terrain, probiert Erzähltechniken jenseits der traditionellen Pfade aus. So verzichtet sie in einigen der Erzählungen beispielsweise ganz auf das erzählende Ich. Oft wie etwa in der Eingangserzählung „Ein Geisterhaus“, entsteht so eine Komposition aus mehreren Erzählstimmen: Ein Paar besichtigt ein Haus, in das es einziehen will, doch dann mischen sich in seine Gedanken die Stimmen derjenigen, die hier vorher gelebt haben. – In der Erzählung „Ein ungeschriebener Roman hinwieder lässt die Autorin die Leser miterleben, wie ihre Figuren entstehen. Wie aus der Begegnung der Erzählerin mit einer realen Person die Romanfigur „Minnie Marsh“ wird. Die muss natürlich mit einem Innenleben ausgestattet werden: Ist sie gläubig? Und wenn ja, wie sieht ihr Gott aus?

Oh je- dieses Göttersehen! – Er ähnelt eher Präsident Kruger als Prinz Albert – mehr kann ich nicht für ihn tun, und ich sehe ihn auf einem Stuhl, in einem schwarzen Gehrock, ich kriege eine oder zwei Wolken für ihn hin, auf denen er sitzen kann.

Auf Virginia Woolfs Witz ist immer Verlass. Und das lässt auch die manchmal anstrengende Lektüre dieser experimentierfreudigen Erzählungen letztlich zu einem großen Vergnügen werden.

Ach Cassandra, lass uns um Himmels Willen eine Methode erfinden, mit der Männer Kinder gebären können! Das ist unsere einzige Chance. Denn wenn wir ihnen keine unschuldige Beschäftigung besorgen, werden wir weder gute Menschen noch gute Bücher bekommen.

WDR 5, Bücher, 19. Februar 2022