Die BILD-Koalition

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Am Wochenende prangerte BILD die Virologen Viola Priesemann, Dirk Brockmann und Michael Meyer-Hermann als „Die Lockdown-Macher“ an und verkündete: „Experten-Trio schenkt uns Frust zum Fest“. Damit bezog die Zeitung massiv Stellung gegen die wissenschaftliche Fundierung der Maßnahmen, die die künftige Regierung in Bezug auf die Eindämmung der Corona-Pandemie plant. Kurz zuvor hatte der designierte Bundekanzler Olaf Scholz dazu noch gesagt, es gäbe für seine künftige Regierung „keine roten Linien mehr.“

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Das Erfolgsrezept des letzten SPD-Kanzlers, Gerhard Schröder, lautete bekanntlich: „Zum Regieren brauche ich BILD, BamS und Glotze“. Noch lässt sich nicht genau bestimmen, ob die Fußspuren seines Vorgängers für Olaf Scholz eine Nummer zu groß sind. Doch was BILD angeht, scheint er in der Spur zu sein. Brav stand er am Sonntag in der von BILD initiierten ZDF-Gala „Ein Herz für Kinder“ dem Moderator Rede und Antwort. Doch natürlich fragt jemand wie Johannes B. Kerner den designierten Kanzler nicht danach, was er zu der verleumderischen Hetz-Kampagne der BILD-Zeitung gegen die Corona-Virologen vom Vortag zu sagen habe. Und so sagte Scholz dazu auch nichts. Was darauf hindeutet, dass auch er BILD zum Regieren braucht.

Na gut. Aber brauchen auch die Grünen BILD zum Regieren? Oder warum sonst lassen sich ihre beiden Vorsitzenden Baerbock und Habeck zusammen mit Ursula von der Leyen, Manuela Schwesig und einer gefühlten Hundertschaft Halb- und Viertel-Promis mit einspannen beim „Abend der kleinen Helden“? Gehorsam setzten sie sich ans Spendentelefon und ließen sich anschließend von BILD als „Grüne Geld-Giganten“ feiern. Und sagten ebenfalls nichts zur wissenschaftsfeindlichen BILD-Hetze. Stattdessen präsentierten sie sich entspannt lächelnd und klatschend beim Abschluss-Foto der Gala vor einem sie um Haupteslänge überragenden Matthias Döpfner. Dem Chef von Springer und BILD.

Kann man sich peinlicher anbiedern? Aber ja, das hat ja sozusagen schon Tradition. Das haben die Grünen ja bereits bei den Koalitionsverhandlungen unter Beweis gestellt: Keines ihrer Ziele wollten oder konnten sie dort gegen die FDP durchsetzen. Weder ein Tempolimit noch die Priorität des Baus klimafreundlicher Wohnungen. Sie verzichteten auf die Kürzung der Pendlerpauschale ebenso wie auf Steuererhöhungen und die Lockerungen der Schuldenbremse. Und schließlich verzichteten sie dann auch noch aufs Finanzministerium, – aus Sorge um die Gewogenheit Christian Lindners und die „Stabilität der Koalition“.

Die Zeiten, wo sich das Grüne Establishment von seiner Wählerschaft Verrat an Grünen Prinzipien und Opportunismus um jeden Preis vorwerfen lassen musste, sind ja seit Joschka Fischers Wandlung zum Kriegsbefürworter schon längst vorbei. Das Auseinanderklaffen von hehren Ansprüchen und machtpolitischer Wirklichkeit hat viel damit zu tun, dass die Wähler der Grünen älter und wohlhabender geworden sind. In ihrer sozialen Zusammensetzung unterscheiden sie sich kaum noch von denen der FDP. Entsprechend sind die Gemeinsamkeiten des Lebensstils und der moralischen und politischen Haltungen größer geworden: Wirtschaftsfreundlicher und nicht allzu kritisch gegenüber der Macht. Auch gegenüber der Macht von Medien wie BILD.

Damit aber lässt sich der peinliche Auftritt von Baerbock und Habeck in „Ein Herz für Kinder“ weder entschuldigen noch erklären. Wäre noch eine Spur des alten Grünen Rebellentums in ihnen, hätten sie den Auftritt genutzt, um dort BILD seine infame Kampagne gegen die Virologen um die Ohren zu hauen. Willi Winkler in der Süddeutschen Zeitung kramte als Kommentar dazu ein Zitat des verstorbenen Satirikers Wiglaf Droste hervor: „Ich habe tote Fische gesehen, die es ablehnten, sich in BILD einwickeln zu lassen.“ – Scholz, Baerbock und Habeck haben damit kein Problem.

WDR 3 Resonanzen 6. Dezember 2021