Noch bis kurz vor der Veröffentlichung des Koalitionsvertrages wurde gemunkelt, der enthalte gar keine konkreten Erklärungen zur Kulturpolitik, so, wie das im Jahr 2005 schon einmal der Fall war. Aber siehe da: Kultur- und Medienpolitik werden im neuen Koalitionsvertrag ausführlich behandelt; es werden darin eine Menge hehrer Absichtserklärungen formuliert und auch die Zusammenarbeit von Kultur- und Klimapolitik avisiert (schließlich sollen nun die Grünen das Amt der bisherigen Kulturstaatsministerin beim Bundeskanzleramt bekommen). Doch viel Konkretes findet man auf den immerhin fünf (von 177) Seiten zur „Kultur- und Medienpolitik“ nicht. Vor allem nicht die von vielen Kulturschaffenden verlangte Zusage einer Erhöhung der Bundeskulturförderung. Was also bedeutet der Koalitionsvertrag für die Kultur im Lande?
Was deutschen Politikern die Künste wert sind, wurde auf den vergangenen Corona-Krisen-Gipfeln deutlich: Kulturstätten sortierten sie darauf unter „Freizeiteinrichtungen“ neben Spielhallen, Wettbüros und Bordellen ein. Deshalb ist es erfreulich, dass der neue Koalitionsvertrag der Kultur- und Medienpolitik einen hohen Stellenwert einräumt. „Kulturelle und künstlerische Impulse“, heißt es darin, könnten den „Aufbruch unserer Gesellschaft befördern.“ Dazu versprechen die Koalitionäre, die Kultur als „Staatsziel“ zu verankern.
In dieser hehren Formulierung verbirgt sich eigentlich der Anspruch, dass der Bund mehr Kompetenzen in der Kulturpolitik erhalten soll als bisher. Die Befürworter eines solchen „Kulturstaates“ – wie die SPD und der Deutsche Kulturrat – sind deshalb dafür, ein echtes Kulturministerium einzurichten, statt das Amt im Kanzleramt anzusiedeln. Von einem solchen neuen Kulturministerium aber ist im Koalitionsvertrag nirgends die Rede. Zurecht nicht. Denn laut der Verfassung ist nicht der Bund, sondern sind die Länder für die Kultur zuständig. Dem erst 1989 geschaffenen Kulturstaatsministerium kommt deshalb im Wesentlichen die Aufgabe zu, die kulturellen Aktivitäten der Länder zu fördern.
Mit dieser Förderung haperte es bisher und deshalb war die erste Forderung des Deutschen Kulturrates an die neue Koalition, die Bundeskulturförderung zu erhöhen und eine „zielgerichtete Entlastung der Kommunen“ zu ermöglichen. Liest man den Koalitionsvertrag etwas gründlicher, wird daraus wohl nichts. Man wolle, heißt es dort vage, die Kooperation mit Kommunen, Ländern und Kulturproduzentinnen „verbessern“ und, noch vager, „Potenziale von Standards beraten.“ Die einzig konkrete Formulierung jedoch ist eine klare Absage. Sie lautet: „Kommunen müssen finanziell dauerhaft Kunst und Kultur aus eigener Kraft fördern können.“
Die anfängliche Rede von der „Kultur als Staatsziel“ erweist sich beim näheren Hinsehen als deklaratorische Leerformel. – Doch gibt es auch Lichtblicke im Vertrag. Etwa das Versprechen, die gerade in Kraft getretene und von vielen Kulturschaffenden als problematisch bewertete Reform des Urheberrechts auf Praxistauglichkeit „evaluieren“ zu wollen. Noch optimistischer stimmt die Zusage, Mindesthonorierungen in die Förderrichtlinien des Bundes aufzunehmen, um freischaffende Künstlerinnen sozial besser abzusichern.
Und geradezu euphorisch könnte man werden angesichts der Absicht, die Künstlersozialkasse (KSK) finanziell zu stabilisieren und die erhöhte Zuverdienstgrenze aus nicht-künstlerischer Tätigkeit zu erhalten. Denn der rigide Rauswurf aus der KSK hat in der Corona-Krise schon hunderte von Künstlerinnen und Künstlern die Existenz gekostet. – Insofern kann man in dieser Hinwendung zu den eigentlichen Trägern der Kultur dann doch ein Zeichen dafür sehen, dass es mit der neuen Koalition um die Kultur insgesamt doch nicht so schlecht bestellt sein wird.
WDR 3 Mosaik 25. November 2021