„Kauft kein Zeug, das ihr nicht braucht“, mahnte Greta Thunberg anlässlich des „Black Friday“ im letzten Jahr. „Überkonsum zerstört die gegenwärtigen und künftigen Lebensbedingungen und den Planeten selbst.“ Da ist natürlich was dran. Es soll nicht wenige Menschen geben, die die Pakete, die sie sich in den morgen beginnenden November-Kaufrausch-Wochen kommen lassen, gar nicht erst auspacken. Sie kippen sie samt Inhalt irgendwann nach Weihnachten einfach oben auf den überquellenden Verpackungsmüll drauf. Schließlich haben sie auch so ihren Zweck erfüllt und dem Konsumentenhirn den glücklich machenden Dopamin-Stoß verschafft. Denn darum geht es ja bei der Schnäppchenjagd. Kaufen ist einfach geil. Vor allem, wenn’s wenig kostet.
Der Handel wie ja der Kapitalismus überhaupt haben diese süchtig machende Belohnungsstrategie natürlich sehr frühzeitig erkannt und für sich zu nutzen gewusst. Ältere erinnern sich an die Rabattaktionen des Einzelhandels, als sich schon vor Tagesanbruch Menschenschlangen vor den Kaufhäusern bildeten, die dann bei Geschäftsbeginn wie eine Flutwelle über die Grabbeltische hereinbrachen. Zeitzeugen berichten von zwar anstrengenden, weil beim Grapschen oft Zweikampf-intensiven, aber letztlich doch den glücklichsten Stunden ihres Konsumenten-Lebens.
Heute ist die Schnäppchenjagd viel weniger anstrengend, dafür aber auch sehr viel unsinnlicher geworden: Statt den Schweiß der anderen beim Fight am Grabbeltisch zu atmen, müht man sich vorm Computer einsam an spröden Vergleichsportalen ab. Denn das weiß ja inzwischen jeder: Die Schnäppchen-Tage sollten eher Fake- oder Betrugs-Events heißen. Die „supergünstigen“ Sonderangebote sind oft manipuliert und manchmal kommt das im voraus bezahlte Schnäppchen gar nicht erst an. Also besteht der Reiz der heutigen Schnäppchenjagd im schnöden Lösen von Rechenaufgaben. Die Erotik des Kaufens ist entzaubert.
Ein Exempel für diese Profanisierung des Konsums bietet die Geschichte des morgigen Singles‘ Day. Diese im Jahr 2011 in China erfundene Einrichtung diente ursprünglich dazu, dass junge Chinesen sich bei Partys und Karaoke-Veranstaltungen kennenlernen und ineinander verlieben konnten. Es dauerte keine zwei Jahre, bis Unternehmen wie etwa die Alibaba-Group den Single’s Day okkupierten und zum größten und gewinnträchtigsten Onlineshopping-Tag der Welt werden ließen.
Konsum ist nicht per se schlecht. Die kulturkritische Verteufelung des Konsums hat immer ausgeblendet, wieviel individuelle Freiheit durch Konsum möglich sein, wieviel Konsum zur Identitätsbildung beitragen kann. Aber kann man durch Konsum auch noch die Welt retten? Das legen nicht nur Ökologen, sondern inzwischen Konzerne wie etwa Shell mit seiner Initiative „Kaufen hilft“ nahe. Und schieben damit völlig unrealistisch alle Verantwortung einem veränderten Konsumverhalten zu. Realistisch dagegen ist, nicht auf jedes Greenwashing und auf jeden Schnäppchen-Hype hereinzufallen. – Also vielleicht morgen doch lieber zum Martinszug als zum Singles‘ Day?
WDR 3 Mosaik 10. November 2021