F. Scott Fitzgerald, Die Schönen und Verdammten

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F. Scott Fitzgerald, Die Schönen und Verdammten. Roman. Aus dem Englischen von Renate Orth-Guttman. Penguin 2021. 622 Seiten. 12 Euro

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Ein Grund dafür, die Klassiker der literarischen Moderne immer wieder neu aufzulegen und noch einmal zu lesen, ist einfach der, dass Klassiker halt unvergänglich sind. Was dieses „unvergänglich“ im konkreten Fall bedeutet, zeigt sich bei der Lektüre von F. Scott Fitzgeralds „Die Schönen und Verdammten“ aus dem Jahr 1922. „Unvergänglich“ heißt bei diesem Roman nichts anderes, als dass seine Themen hoch aktuell geblieben sind. Liest man ihn jetzt noch einmal, scheint es, als hätte Fitzgerald vor hundert Jahren die heutige hedonistische Gesellschaft der Erben und den kapitalistischen Hyperindividualismus vorausgeahnt. Er zeichnet das Porträt der jungen Generation, die das „Jazz-Age“ der 1920er Jahre prägte, den fieberhaften Aufbruch des Nachkriegs-Amerikas in die Moderne. Seine Protagonisten sind gutaussehende wohlhabende junge Männer wie Anthony Patch, die durch die Welt schweben wie durch eine glitzernde Cocktailbar. Verantwortung, richtige Arbeit gar, sind ihm ein Graus. Als er im Grillroom des Plaza-Hotels auf seine spätere Ehefrau, die wunderschöne Gloria, trifft, antwortet er auf ihre Frage, was er denn so tue:

„Ich tue nichts“, begann er und merkte, dass seine Worte nichts von der beabsichtigten weltmännischen Eleganz hatten. „Ich tue nichts, weil nichts, was ich tun könnte, die Mühe lohnt.“ „Ah ja?“ Er hatte sie weder verblüfft noch ihr Interesse geweckt, aber sie hatte ihn zweifellos verstanden. „Mögen Sie keine faulen Männer?“ Sie nickte. „Doch, wenn sie mit Anmut faul sein können. Bringt ein Amerikaner das fertig?“ „Warum nicht?“ fragte er leicht gekränkt.

Nach der Heirat führt das Paar mit Anthonys von der Mutter geerbten Vermögen ein luxuriöses Lotterleben, das freilich aller „Anmut“ entbehrt: Vergnügungssüchtig taumeln sie von Party zu Party, voller Verachtung für alle, die im Mittelmaß und in Armut leben. Sie verkehren nur in den „besten Kreisen“ der New Yorker Gesellschaft und verprassen dabei innerhalb weniger Jahre gedankenlos ihr Vermögen. Denn sie sind fest davon überzeugt, dass Anthonys steinreicher Großvater ihm seine Millionen hinterlassen wird. Doch der alte Patch, ein doktrinärer Moralist und Abstinenzler, enterbt Anthony, nachdem er bei einem unerwarteten Besuch im Haus des Paares nur Betrunkene vorfindet. Die Jahre dauernde Anfechtung des Testaments verschlingt den Rest ihres eigenen Vermögens, die ständige Geldknappheit zerrüttet ihre Ehe und Anthony wird, noch nicht einmal dreißig Jahre alt, zum Alkoholiker. 

Wenn er nicht trank, war die Spannweite seiner Empfindungen mittlerweile geringer als die eines gesunden alten Mannes. Nur für einen Moment, wenn der erste Highball des Tages ihn erwärmt und neu belebt hatte, wandten sich seine Gedanken den schillernden Träumen von künftigen Freunden zu. Doch diese Momente währten nie lange. Je betrunkener er wurde, desto ferner rückten die Träume, und er wurde zu einem konfusen Schatten, der in dunklen Winkeln seines eigenen Gemüts herumirrte.

Es ist offensichtlich, dass Fitzgerald mit diesem seinem zweiten Roman nicht nur ein satirisches Porträt der amerikanischen jeunesse dorée der 1920er Jahre, sondern auch eine autobiografische Studie verfasste. Bis in die Details gleicht das Paar Anthony und Gloria Patch im Roman dem realen Paar Scott und Zelda Fitzgerald. Das führte mit dem Geld aus Fitzgeralds erstem großen Erfolgsroman „This Side of Paradise“ ein ausschweifendes Partyleben im New York der frühen 20er. Und mit prognostischer Klarsicht auf die eigene Person beschreibt Scott Fitzgerald hier schon seine eigene Alkoholikerkarriere, die ihm 1940 einen frühen Tod einbrachte. – Es sind allerdings nicht die autobiografischen Elemente, die „Die Schönen und Verdammten“ zu einem relativ unausgewogenen Roman machen, unperfekt im Vergleich zum zwei Jahre später verfassten, eben perfekten „Großen Gatsby“. Hier wollte Fitzgerald einfach zu viel: Vor allem die seinen Protagonisten in den Mund gelegten, sehr gewollt klingenden theoretischen Erwägungen ufern aus und machen ihn zumindest im ersten Drittel zu einer sperrigen Lektüre. Alles andere aber ist großartig: Die präzise Psychologie der Figuren, der Sinn für Situationen, in denen deren Eitelkeit ins Absurde gleitet, die erzählerische Eleganz… Deshalb bleibt „Die Schönen und Verdammten“ seiner Schwächen zum Trotz ein echter und das heißt zeitloser Klassiker der Moderne.

WDR 3 Mosaik 31. August 2021