Der Wahlkampf liegt ermattet in den Seilen. Alle Kontrahentinnen und Kontrahenten japsen nach Luft, ihnen fällt nichts mehr ein. Jedenfalls nichts, was politisch noch irgendwie relevant wäre und vielleicht einen Fingerzeig auf die zu gestaltende Zukunft böte. Alles schläft, keiner wacht geschweige denn kämpft. Und dann jetzt der Paukenschlag: Alt-Kanzler Gerhard Schröder mischt sich ein. Und wie!
Offenbar ist er der Einzige in der SPD, der sich noch an den Wahlkampf erinnert, den seine Partei in der Landtagswahl im Jahr 2012 in NRW führte. Auch damals fiel niemandem etwas politisch Sinnvolles ein. Bis die SPD auf die Idee kam, überall riesige Plakate aufzuhängen, auf denen eine richtig fette Currywurst in roter Sauce neben ebenso fetten Pommes zu sehen war. Darunter stand bloß: „Currywurst ist SPD“. Die SPD gewann die Wahl. Die CDU fuhr das schlechteste Ergebnis seit 1947 ein.
So soll es auch jetzt sein, hat sich der vormals auch Auto-Kanzler genannte Schröder bei einer Stippvisite bei VW in Wolfsburg wohl gesagt, als er mitbekam, dass eine der Werkskantinen dort nach den Ferien auf „vegetarisch“ umstellt, folglich nicht mehr die von ihm heiß geliebte Currywurst im Angebot hat. Seine empörte Reaktion auf LinkedIn „Rettet die Currywurst!“ hätte das Zeug, zu dem Slogan der SPD im laufenden Bundestagswahlkampf zu werden. Nicht nur wegen seiner Originalität. Sondern vor allem deshalb, weil die SPD damit durchaus ihre verloren geglaubte Stammwählerschaft zurückgewinnen könnte.
Denn als Erklärung für seinen Aufschrei führt der früher auch als „Genosse der Bosse“ bekannte Gerhard Schröder nämlich nun eine auf die proletarische Tradition seiner Partei verweisende Erklärung an: „Currywurst mit Pommes“, schrieb er, „ist einer der Kraftriegel der Facharbeiterin und des Facharbeiters in der Produktion. Das soll so bleiben.“ Dass man das noch erleben darf! Der Hartz-IV-Erfinder Gerhard Schröder als Klassenkämpfer! Auch wenn es hier bloß um das Recht der VW-Arbeiter auf ihre Currywurst geht. Aber was soll’s? In einer konsumorientierten Gesellschaft schließen sich Klassenkampf und Feinschmeckerei ja keineswegs aus. Zumal sich der Altkanzler durchaus inklusionsbereit zeigte und ergänzend bekräftigte, dass vegetarische Ernährung gut sei und er das „phasenweise“ selbst auch „mache“.
Ob sich diese Currywurst-Intervention Gerhard Schröders bloß seiner privaten Marotte verdankt, scheint zwar irgendwie nahe zu liegen. Doch sollte man die alte Tante SPD nicht unterschätzen. Vielleicht waren es ja ihre Strategen, die den erfolgreichen NRW-Currywurst-Slogan von 2012 noch einmal ausgegraben haben? Und Schröder damit noch einmal ins Wahlkampfgeschirr spannen. Die Frage ist, was sie ihm dafür versprechen mussten. Für die Fleisch verzehrende Mehrheit der Wählerinnen und Wähler jedenfalls wäre er der beste aller denkbaren Ernährungsminister.
WDR 3 Mosaik 12. August 2021