Als vor genau zehn Jahren – im Juli 2011 – der Bundesfreiwilligendienst als Ersatz für den mit der allgemeinen Wehrpflicht wegfallenden Zivildienst gegründet wurde, fehlte es nicht an Skeptikern.
„Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann – fragt, was ihr für euer Land tun könnt.“ Diese beiden Sätze aus der Inaugurationsrede John F. Kennedys vom 20. Januar 1961 standen für den Aufbruch aus einer Gesellschaft egoistischer Partikularinteressen hin zu einer sich wieder für das Allgemeinwohl einsetzenden Gesellschaft. Kennedys Hoffnung ist inzwischen ebenso zerstoben wie Martin Luthers Traum von einer Gesellschaft der Gleichen. So zerrissen wie noch nie präsentieren sich heute sowohl die amerikanische wie auch alle übrigen westlichen Gesellschaften.
Nicht nur in der Soziologie spricht man von „Desintegration“, von der „Erosion“ der Gesellschaft hin zur „Gesellschaft der Singularitäten“. In jedem Leitartikel ist vom „Auseinanderdriften“, von Spaltung, vom rasend beschleunigten Auseinanderklaffen der sozialen Schere und nicht zuletzt auch der zunehmenden Entfremdung der politischen Klasse von den „normalen Menschen“ die Rede. Seit Jahren scheint ausgemacht, dass wir in einer „Zweidrittelgesellschaft“ leben, in der sich um das letzte, das „abgehängte“ und „prekäre“ Drittel niemand auch nur einen Deut kümmert.
Umso frappierender ist, dass der „Bundesfreiwilligendienst“ zu seinem zehnjährigen Jubiläum eine stattliche Erfolgsbilanz vorweisen kann. Erstaunlich viele Menschen hierzulande scheinen John F. Kennedys Frage, was sie für ihr Land tun können, immer noch ernst zu nehmen. 400.000 Menschen arbeiteten in den vergangenen 10 Jahren ein Jahr lang in sozialen, ökologischen oder kulturellen Einrichtungen, die dem gesellschaftlichen Gemeinwohl dienen. In Kitas, Altenheimen und Flüchtlingsunterkünften. Vom Bundesfamilienministerium bezahlt. Nur dürftig, in Höhe des Hartz IV-Satzes bezahlt. Und da die Aussteiger- bzw. Abbrecherquote sich im Rahmen der Zahlen hält, die man auch von Studierenden und Auszubildenden kennt: Ein finanzielles Interesse oder das, bloß irgendeiner Zwischenzeit-Beschäftigung nachzugehen, dürfte also kaum eine Rolle gespielt haben. – Also kann es sich hier nur um echtes gesellschaftliches Engagement handeln.
Das sollte vor allem diejenigen zum Nachdenken bringen, die viel von der „Staatsverdrossenheit“ der Bürger reden. Und die sich allein von der sogenannten „Zivilgesellschaft“ die Rettung des demokratischen gesellschaftlichen Zusammenhalts erhoffen. – Wobei mit „Zivilgesellschaft“ die Gesamtheit der gesellschaftlich engagierten Gruppen gemeint ist, die sich selbst organisieren und dabei vom Staat abgrenzen. Von „Fridays for Future“ bis hin zu „Pegida“. Die also auch gegensätzliche gesellschaftliche Interessen verfolgen.
Bei den Menschen dagegen, die sich im vom Staat organisierten „Bundesfreiwilligendienst“ engagieren, braucht es sich nicht unbedingt um blinde Staatsgläubige zu handeln. Sie könnten einfach noch unverdrossen von der Idee Friedrich Wilhelm Hegels überzeugt sein, dass der wohlgeordnete Staat dazu da sei, das Interesse des Einzelnen mit dem Allgemeininteresse in Einklang zu bringen.
WDR 3 ;Mosaik 5. Juli 2021