Barbara Frischmuth, Dein Schatten tanzt in der Küche. Erzählungen. Aufbau-Verlag. 224 Seiten. 19,95 Euro
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Viele der in Barbara Frischmuths Erzählungen dargestellten Frauenfiguren haben einen internationalen Hintergrund. Am deutlichsten die Hauptfigur Darya in der titelgebenden Erzählung „Dein Schatten tanzt in der Küche.“ Darya kommt aus Syrien. Sie hat miterlebt, wie ihr Geliebter Adnan in der Ägäis ertrank. Nun, da sie sich von dem Trauma einigermaßen erholt und mit großer Willenanstrengung in der neuen Gesellschaft zurechtgefunden hat, trifft sie in der Nachmittagsbetreuung einer Schule zufällig auf einen syrischen Jungen, der ebenfalls Adnan heißt. Als sie erfährt, dass er der Sohn ihres Geliebten ist und der in Syrien mit einer anderen Frau ein Doppelleben führte, verliert sie ihren Lebensmut.
Als man sie endlich fand, und das auch nur durch Zufall, waren vier Tage vergangen. Wie aus den Kommentaren zur der ‚Tragödie, die keiner wollte’ hervorging, hatte man ihre Abwesenheit zwar wahrgenommen, aber sich nur, wie die Schuldirektorin und der Besitzer der Apotheke zu Protokoll gaben, darüber einigermaßen geärgert, weil sie kein Wort gesagt hatte und auch telefonisch nicht zu erreichen war.
Solche Lakonie reflektiert die gesellschaftliche Kälte, in der Barbara Frischmuths Frauenfiguren sich bewegen. – Paula hat ihren Lebensgefährten, einen Nebenerwerbsbauern, verloren, kümmert sich mühsam um die Reste der Landwirtschaft, vereinsamt und verwahrlost dabei, wird wunderlich, führt die letzte Ziege wie einen Hund am Halsband spazieren und genießt am Ende das Glück, dass sich der Sohn ihres Gefährten um sie kümmert, auch wenn sie weiß, dass es ihm nur ums Erbe geht. – Auch Amelie, eine frühere Schauspielerin, droht allmählich in Altersdepressionen zu versinken. Bis sie sich entschließt, noch einmal das Kostüm anzuziehen, das sie in ihrem einzigen erfolgreichen, aber Jahrzehnte zurückliegenden Film trug und darin, gleichsam verjüngt, ins Kaffeehaus zu gehen.
Sie musste investieren, wenn ihr das Leben lieb war. Sich zeigen, anderen die Chance geben, sich mit ihr anzufreunden.
Was auch klappt. Irgendwann setzt sich Daniel, ein früherer Kollege zu ihr, noch mehr gealtert als Amelie selbst. Trotzdem landen sie im Bett, „wie zwei Robben an Land, die unartikulierte Laute von sich geben“, heißt es. Das bittere Ende: Am nächsten Morgen findet Amelie Daniel tot neben sich liegen.
Sie wollte ihn aufrecht hinsetzen. Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, ohnmächtig zu werden. Sie musste anrufen, bei der Polizei, beim Notdienst, beim Roten Kreuz. Sie ging zurück zu Daniels Leiche und versuchte es noch einmal. Zumindest die Hose sollte er anhaben, wenn sie ihn holten. Das war sie ihrem Traum allemal schuldig.
Solche bittersüße Ironie, früher eines der Markenzeichen der Erzählerin Barbara Frischmuth, ist rar in ihrem neuen Erzählungsband. Allzu sehr konstruiert wirken die meisten Geschichten, oft hört man das Klappern des Erzählmechanismus und erkennt allzu schnell die Botschaft. Was aber am meisten stört, ist, dass sie hier über lange Strecken ihre einst so wunderschöne poetische Sprache aufgibt, viel zu häufig in einen von Beamtendeutsch bekleckerten Protokollstil verfällt, der nur die Handlung vorantreiben soll. In einer Erzählung „erliegt“ der Vater einem Herzinfarkt, in einer anderen ist die Gärtnerei am nächsten „befindlich“, dann will sich eine Figur „diesbezüglich“ informieren. – Es ist ganz sicher sehr ungerecht, an das neue Werk Barbara Frischmuths den Maßstab ihrer früheren, so romantischen, märchenhaften und ganz und gar bezaubernden Bücher zu legen. Andererseits haben aber die Leserinnen und Leser auch ein Recht auf ihren Egoismus. Nämlich den, auch im neuesten Werk ihrer Lieblingsschriftsteller noch einmal ihre eigene Jugend erleben zu können.
WDR 3 Mosaik 30. Juni 2021