„Umsteuern! Robin Sisterhood“ heißt ein in Köln gerade neu gegründeter Verein, der dafür sorgen will dass die nicht gezahlte Kirchensteuer derjenigen, die aus den Kirchen austreten, sinnvoll umgewidmet wird. Initiatoren dieses Vereins sind Mitglieder der Reformbewegung „Maria 2.0“.
Im Jahr 2018 veröffentlichte das katholische Bistum Essen eine Studie mit den Ergebnissen eines dreijährigen Projekts mit dem Titel: „Kirchenaustritt – oder nicht? Wie Kirche sich verändern muss.“ Darin wird vorgeschlagen, dass die Kirche bei den „Dienstleistungen besser werden muss.“ Also bei Beerdigungen, Taufen, Trauungen. Dann bedürfe es eines besseren „Mitgliedermanagements“ und einer optimierten „Markenpflege“, um die Kirche „erkennbar“ zu machen.
Die Analyse im Betriebswirtschafts-Jargon war sicher zutreffend. Genützt haben aber weder sie noch die eventuell in ihrem Sinne getroffenen Maßnahmen. Ungebremst rollt die Austrittswelle. Jedes Jahr verlässt eine halbe Million Menschen die beiden Kirchen. Das ist tatsächlich eine „Herausforderung des Heiligen Geistes“, wie der katholische Erfurter Theologe Eberhard Tiefsee sagt. Auch er setzt auf „Dienstleistungen“, darauf, den Verbliebenen „Gutes zu tun“. Das sei, sagt er, die Aufgabe jeder Tankstelle: „Man kommt, tankt und fährt wieder.“
Der Vergleich klingt griffig, aber hinkt natürlich. Der Gottesmann hat das Bezahlen vergessen. Jede Tankfüllung kostet. Die „Dienstleistungen“ der Kirchen kosten 9 Prozent der Einkommensteuer. Dabei ist es allerdings egal, ob man tankt oder nicht, kirchliche Dienstleistungen in Anspruch nimmt oder nicht. Frau und Mann zahlen, solange sie Mitglied in der Kirche sind. Und solange der Rubel rollte und sie an der Macht hielt, konnten die Kirchen-Hierarchen machen was sie wollten, konnten sogar die unter ihren Fittichen massenhaft begangenen Sexualverbrechen ignorieren und vertuschen.
Da haben nun die findigen Frauen der katholischen Reformbewegung „Maria 2.0“ etwas gefunden, das sich vielleicht einmal als der archimedische Punkt dafür erweist, von dem aus das morsche Kirchengebäude endgültig zum Wackeln gebracht werden könnte. Spritentzug, um im Tankstellen-Bild zu bleiben. Die durch Kirchenaustritte gesparten Kirchsteuern können, so die Idee, für Zwecke eingesetzt werden, die denen der Kirchen-Hierarchien entgegengesetzt sind. Um zum Beispiel ihren Opfern zu helfen.
Denkt man diese Idee weiter, haben Kirchenmitglieder in Zukunft ein wirklich mächtiges Instrument in der Hand, um ihre Oberen „mores zu lehren“, wie es früher in theologischen Kreisen hieß. Um ihnen wieder Sitte und Moral beizubiegen. Keine Kirchenämter für Frauen? Kirchsteuerentzug! Kein Segen für Homosexuelle? Kirchsteuerentzug! Keine Verfolgung und Bestrafung von Sexualstraftätern? Kirchsteuerentzug! – Der Mechanismus wäre ganz einfach zu organisieren. Für jede Forderung müssten nur so viele Kirchenmitglieder mit Austritt drohen, dass es den Hierarchen wirklich weh täte.
Als es noch keine Kirchsteuern gab, bereicherte sich der Klerus mit dem Ablasshandel, also damit, dass er gegen Geld die Gläubigen von ihren Sünden freisprach. Mit dem Aufstand gegen diese Praxis begann einst die große Kirchen-Revolution, die Reformation. Am Geld ist jede Macht zu packen. Das sollte den Purpur-Trägern zu denken geben.
WDR 3 Resonanzen 22.Juni 2021