Namasté statt Händedruck

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Bereits zu Beginn der Corona-Epidemie Anfang vergangenen Jahres proklamierte der amerikanische Chef-Virologe Anthony Fauci: „Ich glaube, wir sollten nie wieder Hände schütteln! Das wäre nicht nur gut, um die Coronavirus-Krankheit zu verhindern, es würde wahrscheinlich auch die Fälle von Influenza dramatisch verringern.“ Seitdem macht sich die Welt Gedanken darüber, welche Begrüßungsrituale denn anstelle des Händeschüttelns eingeübt werden sollen.

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Der Handschlag gehört zur europäischen Leitkultur. In Westdeutschland war er dagegen leider, wie so vieles kulturell Wertvolles, durch die 68er bereits vor Corona aus der Mode gekommen. Die führten stattdessen das lässige Handheben zur Begrüßung ein. Eine Unsitte, die sich inzwischen weit über das Milieu der Linken hinaus verbreitet hat. Allein noch die Ostdeutschen wissen bei uns, was sich gehört. Weit über 60 Prozent der Ostdeutschen wollen, wenn die Corona-Krise vorbei ist, wieder zu diesem Begrüßungsritual zurückkehren.

Im übrigen europäischen Ausland sieht man das ebenso. Denn dort ist bzw. war der Handschlag nicht nur landläufige Sitte und ein Gebot der Höflichkeit. Sondern fundamentaler Bestandteil des nationalen Selbstverständnisses. Wenn in der Schweiz ein Kind seiner Lehrerin morgens nicht die Hand gibt, müssen seine Eltern 5.000 Franken Strafe zahlen. Wer in Frankreich bei der Einbürgerung dem Präfekten nicht die Hand schüttelt, kann kein französischer Staatsbürger werden. Gleiches gilt in Dänemark. Dort sagt der Innenminister, wer sich nicht die Hand gibt, versteht nicht, was es bedeutet ein Däne zu sein. Konsequenterweise verzichtet Dänemark bis zum Ende der Corona-Krise auf Einbürgerungen. „Kein Handschlag, keine Staatsbürgerschaft.“

Unter dem Ansturm der Seuche ist dieses europäische Kulturgut also jetzt augenscheinlich zerbröselt. Lächerliche andere Begrüßungsrituale haben sich breit gemacht, die mit dem tieferen Sinn des Händedrucks überhaupt nicht vereinbar sind. Der Ellbogen-Check, das komische „Füßeln“ und erst recht der „Fist-Bump“ – die Faust-gegen-Faust-Begrüßung – scheinen allesamt aus irgendwelchen Kampfsportarten entlehnt zu sein. Wogegen doch das Händegeben eine zutiefst friedliche Geste war: Man demonstrierte dem Gegenüber, keine Waffe in der Hand zu haben. Und durchs zusätzliche Schütteln, auch keine im Ärmel zu tragen.

Höchste Zeit also, sich nach adäquaten Begrüßungsarten für die Zeit nach der Pandemie umzuschauen. Bedenkenswert ist da der Vorschlag des hierzulande für die Höflichkeit zuständigen „Arbeitskreises Umgangsformen“. Er schlägt als Äquivalent für den Handschlag den Namasté-Gruß vor, eine Yoga-Ausübenden länger schon bekannte, aus Asien stammende Begrüßung: Ohne dem Gegenüber näher zu kommen, lächelt man, legt die Hand aufs Herz und verbeugt sich dabei.

Ganz nett. Aber leider nicht europäisch. Denn dieser Geste fehlt der kriegerische, also typisch europäische Hintergrund: Der Handschlag ist schließlich  nicht nur ein demonstrativer Verzicht auf Waffen. Sondern kann selbst zur Waffe werden. Dadurch, dass man ihn unterlässt. Es gibt nichts Demütigenderes, als die ausgestreckte Hand des Gegenübers in der Luft baumeln zu lassen. So wie im letzten Jahr geschehen, als der frisch gewählte Ministerpräsident Bodo Ramelow dem AfD-Mann Björn Höcke den Handschlag verweigerte. Der hatte, so Ramelow,zuvor mit einer demokratiefeindlichen Intrige die Wahl zu hintertreiben versucht. – Das ist das Traurige beim Abschied vom Handschlag: Dass er zukünftig fehlen wird als Instrument ostentativer politischer Distanzierung.

WDR 3 Resonanzen 18. Mai 2021