Pünktlich zur Schuldigsprechung des Polizisten, der Georg Floyd umbrachte, muss sich auch die Bundesregierung mal wieder zu einem möglichen Rassismus innerhalb der deutschen Polizei äußern. Obwohl Innenminister Seehofer nach wie vor eine Studie dazu ablehnt, lassen einige Bundestagsabgeordnete nicht mit Nachfragen locker. Jetzt antwortete die Bundesregierung auf eine „Kleine Nachfrage“ der Linken nach dem Vorgehen gegen das Racial Profiling der Polizei, also die gezielten Kontrollen von Menschen die anders aussehen.
„Palmström, etwas schon an Jahren/wird an einer Straßenbeuge/und von einem Kraftfahrzeuge/überfahren.“ In Christian Morgensterns Gedicht „Die unmögliche Tatsache“ recherchiert der überfahrene und verletzt darniederliegende Palmström, wie es zu dem Unfall kommen konnte. Er gelangt zu dem Ergebnis, dass er gar nicht stattgefunden haben kann, weil an dieser Ecke überhaupt keine Wagen fahren durften: „Nur ein Traum war das Erlebnis,/weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf.“
Nach eben diesem Muster argumentiert jetzt schon eine ganze Weile der Bundesinnenminister in Bezug auf einen möglichen Rassismus der deutschen Polizei: Racial Profiling, also anlasslose Polizeikontrollen aufgrund äußerer Merkmale, seien ohnehin verboten, also brauche man auch keine Untersuchung dazu. – Wozu zu sagen ist, dass es zum einen kein Gesetz gibt, dass solche Kontrollen ausdrücklich verbietet, – aber es gibt den Artikel 22 des Bundespolizeigesetzes, wonach der Polizei aufgrund der „Lageerkenntnis“ und polizeilicher „Erfahrung“ das Herauspicken bestimmter verdächtiger Personen erlaubt ist.
Im vergangenen Jahr führte die Bundespolizei stattliche zweieinhalb Millionen mal „anlasslose Kontrollen“ durch. Es gab 55 Beschwerden wegen Diskriminierung dagegen, in der Regel von Menschen, die allein aufgrund ihrer Hautfarbe aus einer Gruppe von Weißen heraus kontrolliert wurden. „Einzelfälle“ argumentieren die Polizei und der Innenminister: Es gebe weder einen generellen noch einen „strukturellen“ Rassismus in der deutschen Polizei. Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz sieht das offenbar anders und würde gerne Genaueres wissen. Seit 2019 empfiehlt sie Deutschland eine wissenschaftliche Untersuchung, denn die „Einzelfälle“ häufen sich so, dass auch die Politologen von der Bundeszentrale für Politische Bildung inzwischen glauben: Rassismus innerhalb der Polizei existiert.
Auch der Hamburger Kriminologe und frühere Polizist Rafael Behr meint, das Argument von den Einzelfällen verliere selbst bei der Polizei an Kraft und man frage sich dort: Gibt es vielleicht strukturelle oder institutionelle Bedingungen, die das fördern? Er selbst, sagt Behr, würde nicht von einem institutionellen Rassismus in der Polizei sprechen, aber davon, dass es dort Strukturen und Bedingungen gäbe, die Rassismus nicht verhindern.
Vor allem aber Strukturen, muss man ergänzen, die verhindern, dass dieses Thema überhaupt aufs Tapet kommt. Wer sich prinzipiell für den Guten hält, der die Bösen bekämpft, will und kann nicht glauben, dass es auch in den eigenen Reihen Böse gibt. Realitätsverweigerung kann man das nennen. Die spricht auch aus der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage, ob sie soziologische Untersuchungen zu einem eventuellen Polizeirassismus initiieren wolle. Nein, heißt es dort, ganz im Geiste von Morgensterns Palmström: Weil es bisher keine Untersuchungen dazu gebe, bestehe auch kein Anlass, entsprechende Untersuchungen anzustrengen.
WDR 3 Mosaik 22. April 2021