Bloß polnische Empfindlichkeiten?

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Schon im Jahr 2018 verurteilte ein polnisches Gericht die Produzenten der 2013 ausgestrahlten kleinen ZDF-Serie „Unsere Mütter, unsere Väter“ dazu, sich öffentlich zu entschuldigen. Und zwar dafür, dass in ihrem Film die polnische Untergrundarmee („Heimatarmee“) als antisemitisch dargestellt wurde. Jetzt hat ein polnisches Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil bestätigt und verlangt eine Entschuldigung. Die deutschen Produzenten wollen den Urteilstext abwarten und dann in Berufung gehen. Sie fühlen sich, weil beim Drehbuch durch Historiker beraten, im Recht.

https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr3/wdr3-resonanzen/audio-zwischenruf—poln-gerichtsurteil-unsere-muetter-unsere-vaeter-100.html

Das Urteil der Historiker über die Darstellung des Nationalsozialismus in deutschen Fernseh-Spielfilmen ist meist hart. Oft  wird ihnen „emotionaler Kitsch“, „Vereinfachung“ und „Verzerrung“ vorgeworfen. Eigentlich ein ungerechtes Urteil. Denn es blendet aus, dass Filme nicht nach wissenschaftlichen, sondern nach ästhetischen Kriterien arbeiten und damit immer eine von der historischen Analyse abweichende eigenständige Interpretation darstellen. Andererseits aber erheben die meisten Fernsehfilme über den Nationalsozialismus einen über die fiktive Handlung hinausreichenden Anspruch an Authentizität. 

Das tat auch der von einer Dokumentation begleitete Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“. Und fand deshalb Lob von den deutschen Historikern: Der Film sei schon deshalb ein Fortschritt, schrieb der Jenaer Historiker Norbert Frei, weil wir (Zitat) „den Krieg gegen die Sowjetunion im deutschen Fernsehen noch nie auf so ungeschönte Weise gesehen haben.“ Andere waren da sehr viel kritischer, sprachen davon, dass die Greueltaten wieder einmal einigen wenigen überzeichneten Nazi-Charaktermasken zugeschrieben wurden. Die fünf „Helden“ des Films aber als viel zu positiv antinationalsozialistisch und am Ende gar als Opfer dastehen.

Auch polnische Historiker waren alles andere als angetan. Denn die polnischen Partisanen gegen das Nazi-Regime in der sogenannten „Heimatarmee“ kommen im Film nicht gut weg. Durchweg seien sie „fast grotesk einseitig“ als Antisemiten dargestellt. Und das entspreche keineswegs der historischen Wahrheit: Zwar habe es durchaus antisemitische Haltungen in der „Heimatarmee“ wie in der polnischen Bevölkerung insgesamt gegeben. Der Film aber blende vollkommen aus, dass es auch ganz andere Haltungen gab, dass eine große Zahl von Polen Juden beschützt habe. 

Nun darf es wie gesagt, nicht die Aufgabe einer fiktiven Filmgeschichte sein, die historische Wahrheit eins zu eins abzubilden. Die kann in der Fiktion nur in Bruchstücken eine Rolle spielen und dient allein der Plausibilität der fiktiven Handlung. – Ob dieser ästhetische Maßstab aber noch gilt, wenn es sich, wie bei „Unsere Mütter, unsere Väter“ um öffentlich-rechtliches Doku-Entertainment, also so etwas wie ein Volkserziehungsunternehmen handelt? Da muss man sich schon einmal die Nachfrage gefallen lassen, warum nur antisemitische polnische Partisanen in der Filmhandlung auftauchen.

Einer der wissenschaftlichen Berater des Filmprojekts, der Münchner Historiker Christian Hartmann, beantwortet diese Frage so, dass die entsprechenden Szenen und Dialoge im Film zwar nicht authentisch, aber „durchaus stimmig“ seien und der damaligen Situation „gerecht“ würden. Denn der Antisemitismus in der polnischen Gesellschaft der Zwischenkriegszeit sei „sehr, sehr massiv“ gewesen. – Aber rechtfertigt das wirklich, ihn in einem deutschen Fernsehfilm so verkürzt und damit auch: verzerrt darzustellen? – Bei aller Skepsis gegenüber dem derzeit vorpreschenden nationalistischen Geschichtsrevisionismus in Polen: In dem Punkt wäre eine Entschuldigung tatsächlich angebracht.

WDR 3 Resonanzen 24.März 2021