Königsmord

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Die Verurteilung des ehemaligen französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy wegen Bestechung und unerlaubter Einflussnahme ist ein einmaliger Vorgang in der französischen Nachkriegsgeschichte. Und auch in der Europäischen Nachkriegsgeschichte. Denn noch nie wurde hier ein ehemaliges Staatsoberhaupt zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Drei Jahre  bekam Sarkozy. Zwei auf Bewährung. Eines als Hausarrest. Auch wenn Sarkozy das eine Jahr, das er – falls er mit seiner Revision nicht durchkommt – zu Hause mit Fußfesseln „absitzen“ kann: Man muss dieses Urteil als einen höchst symbolischen Akt betrachten. Die „Eliten“ erscheinen nicht mehr als unantastbar und ihre die Gesetze verachtenden Frechheiten nicht mehr als sakrosankt. Leitet das Urteil vielleicht einen anderen, radikaleren Umgang mit den „Eliten“ ein? Das wäre schön.

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Als der französische König Ludwig XVI. am 21. Januar 1793 auf der heutigen Place de la Concorde guillotiniert wurde, erzitterte ganz Europa angesichts der unerhörten Bluttat. Die Hinrichtung des unantastbaren Herrschers allein „von Gottes Gnaden“ warf die damalige politische Ordnung über den Haufen. Obwohl Ludwig von einem ordentlichen Gericht und nach geltenden Gesetzen verurteilt worden war, galt seine Hinrichtung fortan als „Mord“. Und die Franzosen als ein Volk von Königsmördern.

Den Ruf sind sie seitdem nicht mehr losgeworden und scheinen ihn nun, durch die Verurteilung Nicolas Sarkozys, wieder bestätigt zu haben. Auch wenn die kommode Einsperrung per elektronischer Fußfessel im luxuriösen Eigenheim natürlich keinem Vergleich mit der Guillotine standhält: Es gibt durchaus Parallelen. In dem der Hinrichtung vorhergehenden Prozess gegen Ludwig XVI spielte eine entscheidende Rolle, dass man bei ihm Dokumente gefunden hatte, die belegten, dass er ein Netz illegaler Geheimdienste betrieben, die Presse und auch einzelne Politiker bestochen hatte.

In beiden Fällen ging und geht es also um Korruption. Um die Käuflichkeit bzw. die geldwerte Einflussnahme eines Machthabers. Wenn die Franzosen das selbst einem „absoluten“ Herrscher wie Ludwig nicht nachsehen. Welchen Grund sollten sie da haben, bei einem vom Volk gewählten Präsidenten Nachsicht walten zu lassen? Sie haben ihren Präsidenten viel, fast alles verziehen und allenfalls mit Liebesentzug bestraft: Ihre Herrschsucht, ihre Eitelkeit, ihr sinistres Intrigantentum, ihre Dummheit und ihre Arroganz. Nicht aber, wenn sie korrupt sind. Das hat schon der Ex-Präsident Jacques Chirac zu spüren bekommen, der wegen Vorteilsnahme im Amt – allerdings nur zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. 

Nun kann man einwenden und weiß damit sämtliche „Eliten“ – Verächter sofort auf seiner Seite, dass Macht und Korruption von jeher ein untrennbare Einheit bilden. Das scheint sowohl der allgegenwärtige Lobbyismus in unserem parlamentarischen Alltag zu beweisen, – jüngst die Affären Zumthor und Nüsslein. Aber auch die lange Geschichte der Spendenaffären in der Bundesrepublik, bis hin zu den nie geahndeten Schwarzen Kassen Helmut Kohls, mit denen er den CDU-Parteiapparat bestach und sich gefügig machte. Ganz zu schweigen von der unsäglichen Korruptheit eines Politikers wie Donald Trump, der vielleicht angeklagt, aber wohl nie bestraft werden wird, weil man der politischen Rechten in den USA keinen „Märtyrer“ schenken möchte.

Es ist sicher naiv zu glauben, das Urteil gegen Nicolas Sarkozy würde die vielfältigen Praktiken der Korruption in der Politik beenden. Allein schon seine glimpflichen Behandlung mit Hausarrest zeugt von einem immer noch allzu großen Respekt vor der Macht. Selbst wenn sie sich, in Person dieses golgkettchenbehängten Monsieur Bling-Bling, der Lächerlichkeit preisgibt. Das Urteil bedeutet keine Kehrtwende, ist vielleicht aber doch ein weiterer kleiner Schritt in der unendlichen Ebene der Mühen, der Macht ihre Grenzen aufzuzeigen.

WDR 3 Resonanzen 2. März 2021