Die „Studie zur aktuellen Bildungssituation deutscher Sinti und Roma“ der Initiative für Antiziganimusforschung RomnoKher ist die Nachfolgestudie einer Erhebung von 2011. Die kam seinerzeit zu katastrophalen Ergebnissen, was die Bildungssituation der Jugendlichen dieser Minderheit von ca 70.000 Menschen angeht: Nur ein Viertel der Kinder gingen zur Kita oder in die Grundschule, fast die Hälfte der Jugendlichen verließ die Schule ohne Abschluss, Nur zwei Prozent der Jugendlichen gingen aufs Gymnasium. Der neuen Studie zufolge haben sich die Zahlen inzwischen deutlich verbessert. Doch der Abstand zur „Durchschnittsbevölkerung“ ist immer noch enorm.
Was war das für eine Erleichterung, als die Marke Knorr im letzten Sommer verkündete, sie werde ihre Zigeunersauce fortan „Paprikasauce Ungarischer Art“ nennen. Sofort folgten andere Hersteller. Mit einer beherzten politisch korrekten Aktion war es gelungen, der rassistischen Diskriminierung einer Minderheit endlich ein Ende zu bereiten. Auch der Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma begrüßte diese Aktion. Merkte gleichzeitig aber auch an, die Namensgebung von Saucen besäße nicht die alleroberste Dringlichkeit. Viel größere Sorge bereite ihm der wachsende Antiziganimus in Europa.
Sinti und Roma sind neben Friesen, Dänen und Sorben die vierte, traditionell in Deutschland heimische nationale Minderheit. Wie die anderen besitzen sie eine eigene Sprache, Kultur und Geschichte. Doch anders als die übrigen blicken sie auf eine Jahrhunderte alte und im „Dritten Reich“ sogar tödliche Diskriminierungsgeschichte zurück. Eine halbe Million Sinti und Roma wurden in Konzentrationslagern ermordet. Der deutschen „Mehrheitsgesellschaft“ ist das erst sehr spät eingefallen. Erst in den 1980er Jahren wurden die Opfer in die deutsche Gedenkkultur eingemeindet und erst vor zwei Jahren verpflichtete sich der Freistaat Bayern zu einem besonderen Schutz und zur Wertschätzung dieser Minderheit in Staat und Gesellschaft.
Von einem solchen Schritt ist der Staat der Bundesrepublik Deutschland offenbar noch ganz weit entfernt, ja, er erwägt ihn noch nicht einmal. Nur unwillig antwortete die Regierung vor kurzem auf eine Anfrage des FDP-Bildungspolitikers Jens Brandenburg. Er hatte nach den Bildungschancen der deutschen Sinti und Roma gefragt. Die Antwort der Regierung: Sie erhebe keine Daten mit „ethnischen Bezügen“. Wisse also nichts über die „sozio-ökonomischen Daten“ der Sinti und Roma. Und außerdem gebe es „grundsätzlich“ nur pauschale, aber keine Fördermaßnahmen ausschließlich für Sinti und Roma.
Bei so viel staatlichem Desinteresse an dieser Gruppe sind die Ergebnisse der neuen Studie zu ihrer Bildungssituation höchst erstaunlich: Mehr Kinder und Jugendliche gehen zur Grundschule und später zu Gymnasium, mehr verlassen die Schule mit einem Abschluss. – Zwar ist der Abstand zur allgemeinen Bevölkerung immer noch beschämend groß. Trotzdem ist der Fortschritt des Bildungsniveaus der Sinti und Roma enorm. Worauf ist er zurückzuführen? Vielleicht, meinen die Verfasser der Studie, sei das deutsche Schulsystem ein bisschen durchlässiger geworden. Aber allein daran liegt es nicht. Und erst recht nicht daran, dass die Diskriminierung der Sinti und Roma geringer geworden wäre.
Im Wesentlichen ist dieser Fortschritt der Selbsthilfe von Initiativen wie beispielsweise „Romno Kher“ in Baden-Württemberg oder „Amaro Kher“ in Köln zu verdanken. Sie haben eigene Kindergärten und Freizeiteinrichtungen für Sinti- und Roma-Kinder gegründet, organisieren den Schulbesuch, halten Kontakt zu Lehrerinnen und Lehrern und machen sich für Inklusion stark. – Und statt auf staatliche Unterstützung zu bauen, vertrauen sie eher auf Spenden. Denn, so einer der Initiatoren, etwas gegen die Diskriminierung der Sinti und Roma zu tun, eigne sich für die Politik nicht so richtig zur „Wählerbeschaffung“.
WDR 3 Resonanzen 25. Februar 2021