„Ist es nicht scheußlich, wenn einer wegen seiner schweren Gicht seine Hände nicht mehr gebrauchen kann und so auf einen anderen angewiesen ist, der ihm den Hintern abwischt? Da wäre es besser, dem Tod den Vorzug zu geben.“ Das schrieb im 2. Jahrhundert nach Christus der in Rom tätige, berühmte griechische Arzt Galenos von Pergamon. In seiner Frage spiegelt sich die pragmatisch-gelassene Haltung der antiken Gesellschaft zum Suizid. Man sah im Tod den „großen Befreier“ und handelte nach dem Motto: Wer schön nicht mehr leben kann, der gibt das Leben auf.
Das änderte sich in dem Augenblick, nämlich im Jahr 380, als im Römischen Reich das Christentum zur Staatsreligion wurde. Seitdem ist der Selbstmord eine Todsünde und wurde unter dem Einfluss des Christentums sogar zu einer Straftat. Bis das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Februar die Beihilfe zum Selbstmord straffrei stellte. Und den Gesetzgeber aufforderte, eine gesetzliche Regelung für den assistierten Suizid zu schaffen.
Die einzig Lauten, die sich in der darauffolgenden allgemeinen Sprachlosigkeit und gesetzgeberischen Untätigkeit zu Wort meldeten, waren, wie nicht anders zu erwarten, die christlichen Kirchen. Allerdings redeten sie nicht mit einer Stimme. Vor kurzem sprachen sich prominente evangelische Theologen und Pfarrer für einen „assistierten professionellen“ Suizid aus. Sie wurden auf der Stelle durch den EKD-Ratsvorsitzenden Bedford-Strohm zur Ordnung gerufen, der im Verein mit der katholischen deutschen Bischofskonferenz „jede organisierte Hilfe zum Suizid“ ausdrücklich ablehnt.
Woher der Gegenwind in der nun bevorstehenden öffentlichen Debatte über ein Suizid-Gesetz kommen wird, ist damit klar. Aber dass der christlichen Fundamentalismus aus den eigenen Reihen Widerspruch erfährt, sollte Mut machen. Die Würde des Menschen ist durch das Grundgesetz garantiert. Und zur Menschenwürde gehört nun einmal, ob Herr Bedford-Strohm das nun gerne hört oder nicht, das Recht, sein Leben aufzugeben.
Drei Punkte werden damit für die künftige Diskussion zentral sein: Die vorherige verbindliche Beratung muss staatlich organisiert und finanziert sein. Allein schon, um damit der bisherigen unsäglichen Praxis ein Ende zu bereiten, dass der durch Sterbevereine vorbereitete Freitod nur für 10.000 Euro aufwärts möglich ist. Zweitens geht es um den Kreis derjenigen, die überhaupt beraten werden. Dass psychisch Kranke und Jugendliche ausgeschlossen sind, ist selbstverständlich. Warum aber Menschen, die nicht tödlich erkrankt sind, sondern aus freiem Willen Suizid begehen möchten, ausgeschlossen sein sollen, wie die Grünen das fordern, ist nicht nachzuvollziehen. Und drittens wird es um die personelle Besetzung der Beratergremien gehen. Also darum, dass die eine ergebnisoffene Beratung gewährleistet. Auch wenn die Berater alles tun sollten, um den Betroffenen umzustimmen: Sein eigener Wille muss die letzte Instanz sein.
Das klingt nach viel und nach einem langen Weg. Es sind aber die Mindestvoraussetzungen dafür, dass ein selbstbestimmtes Sterbenin Würde möglich wird.
WDR 3 Mosaik 1. Februar 2021