Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar hoffen 52 Prozent der Deutschen für das kommende Jahr eine „möglichst große Wirkung“ von Jens Spahn in der Politik. Damit zieht der Bundesgesundheitsminister in der Beliebtheitsskala an der Kanzlerin vorbei und wird zum beliebtesten Politiker Deutschlands, – weit vor dem anderen Krisengewinnler, Markus Söder (Platz 4).
Seit Jahren genießt der Beruf des Feuerwehrmannes in Deutschland die größte Beliebtheit – mit 92 Prozent noch weit vor dem der Ärztinnen und Ärzten. Der CDU-Politiker Jens Spahn wird sich die entsprechenden Statistiken genau angesehen haben, bevor er sich zu Beginn der Corona-Krise eine neue Rolle zulegte. Bis dahin hatte er eher als Provokateur und Produzent zynischer Sprüche reüssiert, etwa mit: „Hartz IV ist nicht Armut, sondern Armutsvermeidung“. Die Krise aber machte aus ihm einen Feuerwehrmann. Entschlossen, aber mit Bedacht greift der ein, wo es brennt. Als Retter der Verängstigten und Bedrohten.„Ich dachte, Sie sind der neue Friedrich Merz. Dabei sind Sie der neue Norbert Blüm!“ stellte FDP-Chef Christian Lindner verwundert fest.
Denn es war kein zynischer, sondern ein mitfühlender und sehr menschlicher Ausspruch, mit dem Spahn sich in seiner neuen Rolle einführte: „Wir werden in ein paar Monaten einander wahrscheinlich viel verzeihen müssen.“ Und mit dieser Vorsicht und Umsicht hat er bisher als Minister agiert. Als jemand, der nicht alles weiß, aber sich mit wissenschaftlichem Sachverstand umgibt. Emphatisch, engagiert und eben sachkundig begründete er die Maßnahmen für die Bekämpfung der Pandemie. Auch deshalb wurden und werden sie von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung als notwendig akzeptiert.
Nun lehnen sich in Krisenzeiten selbst in reifen Demokratien die Leute gerne an starke Männer an. Statt dem Parlament das Management anzuvertrauen, wächst das Bedürfnis nach exekutiver Fürsorge und Kontrolle. Deshalb schnellte in der ersten Coronawelle die Beliebtheit des krachledernen, auf den „starken Staat“ pochenden bayrischen Ministerpräsidenten sprunghaft an. Und allzu willfährig überließen und überlassen auch die Parlamente das Kommando der ausführenden Gewalt. Bei der Neufassung des Infektionsschutzgesetzes im November stimmte der Bundestag sogar eine Schwächung der parlamentarischen Beteiligung an den Corona-Krisenmaßnahmen zu.
An der Formulierung dieses Gesetzes war Jens Spahn übrigens maßgeblich beteiligt. Sein Entwurf, ihm als Bundesgesundheitsminister die Möglichkeit zu geben, nach eigenem Ermessen Verordnungen zu erlassen, kam so zwar nicht durch. Aber er machte deutlich, welcher Machtanspruch sich hinter seinem Auftritt als Feuerwehrmann verbirgt. Spahn beansprucht nicht nur Macht. Er übt sie auch gerne und auf überaus selbstherrliche Weise aus. Etwa wenn er – verfassungswidrig, nämlich gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts – dem ihm unterstellten Bundesinstitut für Arzneimittel die Herausgabe eines Suizidmittels untersagt. Suizid passt eben nicht in sein christliches Weltbild.
So sehr dem Wahlvolk der Auftritt eines Politikers als emphatischer und sachkundiger Kümmerer behagen mag, der seine Rolle bewusst von der des autoritär auftretenden Söder absetzt: Es sollte nicht vergessen, dass Politik mit Macht und auch mit persönlichem Machterhalt zu tun hat. Und auch nicht, dass Politik immer auch ein Rollenspiel ist. Wenn man ihn lässt, kann dieser Feuerwehrmann bestimmt auch ganz anders.
WDR 3 Mosaik 29. Dezember 2020