Jedes fünfte Kind in Deutschland wächst in Armut auf. Das besagt eine Studie über Kinderarmut, die die Bertelsmann-Stiftung vor zwei Monaten veröffentlich hat. Das sind 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Kinderarmut, so die Studie, verharre trotz guter wirtschaftlicher Entwicklung auf diesem hohen Niveau. Sie sei ein ungelöstes strukturelles Problem in Deutschland. – Wenn etwas über Jahre ein „ungelöstes strukturelles Problem“ ist, heißt das, dass das etwas politisch und gesellschaftlich Gewolltes ist. Zumindest etwas Hingenommenes. Etwas, um das sich niemand schert.
Im gleichen Monat Juli trat das vom Parlament beschlossene Corona-Konjunktur-Paket der Regierung in Kraft. Darin fand sich auch so etwas wie ein Antwort auf die Kinderarmutsstudie von Bertelsmann. Der „Kinderbonus“. Um die Folgen der Corona-Krise abzufedern, sollen ab heute allen Eltern, die Kindergeld bekommen, für jedes Kind 300 Euro überwiesen werden. In zwei Raten, eine von 200 Euro jetzt. Eine weitere von 100 Euro im Oktober. Insgesamt 4,3 Milliarden Euro. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als habe der staatliche Wohltäter tatsächlich die Bertelsmann-Studie gelesen. Denn darin stand unter anderem, dass die wirtschaftlichen Folgen der Krise vor allem arme Familien treffen, also diejenigen, die aufs Kindergeld besonders angewiesen sind.
Natürlich freuen sich diese Familien über das Almosen. Aber mehr als eine milde Gabe ist es nicht. Von 200, 300 Euro kann man weder ein Fahrrad noch einen Laptop kaufen. Etwas, was das Kind vielleicht gebraucht hätte, als wegen der Corona-Krise die Schule geschlossen hatte. Jetzt wird das Geld als ein einmaliger Tropfen im alltäglichen Konsum der Familie versickern. – Und das ist offensichtlich auch so beabsichtigt. Die Armut der Kinderbonus-Empfänger, die nicht sparen, sondern denen nichts anderes übrig bleibt als zu konsumieren, ist von vornherein einkalkuliert. Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat vorab berechnet, dass 2,3 Milliarden der 4,3 Milliarden Kinderbonus-Euro unmittelbar in den Unternehmen landen.
Und noch aus einem anderen Grund verbietet es sich, dieses Almosen als staatliche Wohltat zu bezeichnen: Die Gedankenlosigkeit, mit der der „Kinderbonus“ die Alleinerziehenden behandelt. Obwohl jeder weiß, dass die alleinerziehenden Mütter und Väter, bei denen das Kind lebt, die Hauptbetroffenen der Corona-Krise sind, kommt bei ihnen nur die Hälfte des Geldes an. Die andere landet auf dem Konto der Unterhaltspflichtigen, die aber haben mit der unmittelbaren – und durch Corona sehr viel aufwändigeren Betreuung der Kindes nichts zu tun.
Immerhin aber liegt beim „Kinderbonus“ kein Etikettenschwindel vor. Denn der ist ja nichts anderes als Teil eines Konjunkturpakets. Und dem kann es naturgemäß nicht um die Behebung „ungelöster struktureller Probleme“ gehen – wie eben um die Kinderarmut. Sondern einzig und allein um die Konjunktur.
WDR 3 Mosaikk 7. September 2020