Eine muslimische Informatikerin hatte sich im Jahr 2017 in Berlin für eine Stelle als Lehrerin beworben. Zum Vorstellungsgespräch erschien sie mit Kopftuch. Im Hinausgehen wies ein Behördenvertreter sie auf das Berliner Neutralitätsgesetz hin. Das verbietet das Tragen religiöser Symbole und Kleidungsstücke. Sie müsse das Kopftuch im Unterricht also ablegen. Die Frau sagte, sie sei dazu nicht bereit und wurde nicht eingestellt. Dagegen hat sie geklagt und bekam jetzt vom Bundesarbeitsgericht Recht. Das stellte mit seinem Urteil gleichzeitig auch das seit 2005 geltende Berliner Neutralitätsgesetz als nicht verfassungsgemäß in Frage. Recht gegen Recht. Welches gilt?
Im berühmten Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ ist der Wetteransager Phil Conners alias Bill Murray in einer Zeitschleife gefangen. Er kann sich am Ende daraus nur dadurch befreien, indem er ein anderer, ein besserer Mensch wird. Wie soll sich das Kopftuch aus der Zeitschleife befreien, in der es seit zwei Jahrzehnten immer wieder als Objekt einer sich widersprechenden Rechtsprechung gefangen ist? Wohl kaum dadurch, dass es ein besseres Kopftuch wird. Ändern kann sich nur die Rechtsprechung. Sie müsste besser werden. Tut sie aber leider nicht.
Das bestätigt das jüngste Urteil des Bundesarbeitsgerichts, das das Verbot des Kopftuchtragens von Lehrerinnen durch das Berliner Neutralitätsgesetz als verfassungswidrig aufhebt. Dabei tut dieses Berliner Neutralitätsgesetz von 2005 nichts anderes, als was das Bundesverfassungsgericht im sogenannten Kopftuchurteil von 2003 geboten hat. Das lautete: „Ein Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, bedarf einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage.“ Eben diese Grundlage schuf das Berliner Neutralitätsgesetz. Es untersagt allen Pädagogen an allgemeinbildenden Berliner Schulen nicht nur das Tragen eines Kopftuchs, sondern auch anderer religiöser Kleidungsstücke und Symbole wie Kreuz oder Kippa.
Damit aber verstoße es, so nun die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts, gegen ein weiteres Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2015. Dem nach ist ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagoginnen und Pädagogen in öffentlichen Schulen mit deren Glaubensfreiheit nichtvereinbar.
Die Zeitschleife, das ewige Hin- und Her des Kopftuchverbots für PädagogInnen, entsteht dadurch, dass es zwischen zwei sich widersprechenden verfassungsrechtlichen Positionen herumgeschubst wird: Dem Gebot der Religionsfreiheit des Einzelnen auf der einen, dem der religiösen Neutralität des Staates auf der anderen Seite.
Im Klein-Klein der Rechtsprechung und der Urteile spielt aber immer auch noch eine andere Polarität eine Rolle. Die nämlich, ob die mögliche religiöse Indoktrination ihrer Schüler durch eine Kopftuch tragende Lehrerin eine abstrakteoder eine konkreteGefahr für den Schulfrieden ist. Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts laufen darauf hinaus, gesetzliche Kopftuchverbote nur in konkreten Situationen, nicht aber generell auszusprechen. Wie soll das gehen? Schließlich liegt es in der Natur von Gesetzen, dass sie nur abstrakte Sachverhalte erfassen können, nie aber konkrete.Ein konkreter Fall? Ein Mädchen, das von seiner muslimischen Familie zum Kopftuchtragen gedrängt wird, wird von seiner Kopftuch tragenden Lehrerin wohl kaum Hilfe bei seiner persönlichen Entscheidung erwarten können. Soll der Gesetzgeber erst dann eingreifen, wenn das Mädchen sich entschieden hat? – Die Unsinnigkeit dieser Frage führt zur Sinnhaftigkeit der Forderung, dass sich das Bundesverfassungsgericht endlich auch bei Pädagogen und Pädagoginnen eindeutig für die Durchsetzung der religiösen Neutralität des Staates ausspricht. Anfang dieses Jahres hat es das im Fall einer Kopftuch tragenden Gerichtsreferendarin getan. Zum Schutz der weltanschaulich neutralen Rechtsprechung. Sind weltanschaulich neutrale Schulen – und das heißt die Kinder darin – nicht ähnlich schützenswert?
WDR 3 Resonanzen 28. August 2020