„Ich bin echt froh, dass ich weder Vater noch Mutter von den Benders bin“, bemerkte einst der berühmte Fußballtrainer Jürgen Klopp. „Wenn die Kinder blutend vom Platz kommen, das braucht kein Mensch.“ Er meinte er damit besonders seinen Mittelfeldspieler Sven Bender, der vor acht Jahren während eines Spiels gleich drei Mal hintereinander schwer im Gesicht verletzt wurde. Und zwar in Folge eines Ellbogenschlages seiner Gegner. Noch im gleichen Jahr verkündete der deutsche Oberschiedsrichter Herbert Fandel: „Keine Gnade mehr für Ellbogenschläger!“ und führte die Rote Karte für dieses unsportliche Verhalten ein. Was den sogenannten Ellbogencheck allerdings keineswegs aus den Stadien vertrieb. Im Gegenteil. Der Ellbogen ist immer noch das beliebteste Mittel im fußballerischen Luftkampf, seinen Gegner los zu werden.
Böser Ellbogen! Obwohl er eines der elegantes Gelenke ist, über das der menschliche Körper verfügt. Im Gegensatz zum Kniegelenk ermöglicht es nämlich nicht nur Beuge- und Streck-, sondern auch die Drehbewegungen des Unterarms und der Hand. Aber gerade diese Fähigkeit, verdeckt, aus der Drehung heraus dem Gegenüber Schmerzen zuzufügen, macht es zur Allzweckwaffe im menschlichen Überlebenskampf: Nicht von ungefähr wurde es zur soziologischen Metapher. „Wort des Jahres“ 1982 war „Ellbogengesellschaft“ als die Umschreibung für auf Egoismus, Konkurrenz, Rücksichtslosigkeit und Eigennutz beruhende Verhaltensnormen. Und noch im letzten Jahr, 2019, glaubte einer Allensbach-Studie zufolge die Mehrheit der Deutschen in eben dieser „Ellbogengesellschaft“ zu leben.
Und welcher 180-Grad-Schwenk jetzt! Vom Kampf- zum Freundschafts- und Wohlfühlinstrument wandelte sich der Ellbogen während der Corona-Krise. Statt Schmerz und Demütigung zu verursachen, produziert sein Einsatz nunmehr Bilder von nahezu kameradschaftlicher Wärme, von verschmitztem und gefühlvollem Übereinkommen selbst von Leuten, die sich sonst nicht besonders grün sind. Der Ellbogencheck ist in dieser kontaktscheuen Zeit zum beliebtesten Begrüßungsritual geworden, inniger und viel freundlicher als das alberne Füßeln oder das kindische Fäusteln. Die Wandlungsfähigkeit hat natürlich mit den Eigenschaften und dem Sitz des Gelenks zu tun: Seine Drehfreudigkeit und seine relative Nähe zum Kopf beziehungsweise Gesicht ermöglichen es, Nähe und Distanz gleichzeitig und in einer einzigen Geste zu demonstrieren.
Dieser Bedeutungswandel des Ellbogenchecks spiegelt sich auch in den Maßregeln, die die Deutsche Fußball Liga für die bald beginnende neue Profi-Saison herausgab: Das sonst übliche Händeabklatschen, gemeinsames Jubeln und Umarmungen beim Torjubel sind zu unterlassen. Stattdessen: Kurzer Ellenbogenkontakt. Was sonst? Aber dass aus 11 jetzt 22 Freunde werden, wird diese neue Regel wohl nicht bewirken. Der „kurze Ellenbogenkontakt“ im Luftkampf bleibt im Spiel mit Rot bewehrt – und dem Sport trotzdem erhalten. Gutso. Denn so bleibt der Fußball das, was er immer war, ein Spiegel der Gesellschaft.
WDR 3 Mosaik 13. August 2020