Am 17. Juli wird zum 16. Mal der „Welt-Emoji-Tag“ begangen. Die im Jahr 1999 vom japanischen Designer Shigetata Kurita entworfenen 176 Piktogramme haben sich inzwischen auf mindestens 3.300 vermehrt. Ohne sie ist digitale Kommunikation offenbar nicht mehr möglich. Ersetzen sie bald die Sprache?
Seit wir uns keine Briefe mehr schreiben, geht es mit der Sprache rasant bergab. Schon lange malen Sprachkritiker und Sprachpolizisten mit Blick auf Anglizismen, Wortverstümmelungen, fehlerhafte Grammatik und Rechtschreibung in der digitalen Kommunikation den Untergang der deutschen Sprache an die Wand. Dass nun auch noch der Ersatz der Sprache durch simple Bildzeichen feierlich begangen wird, muss den Puristen wie blanker Hohn erscheinen. Gut kann man sich ihre Gesichter rot angelaufen, mit zusammengezogenen Brauen und herabgezogenen Mundwinkeln vorstellen. So wie das Emoji für „Wut“.
Recht könnten sie haben, wenn die Emojis tatsächlich zum plumpen Ersatz der Sprache werden, wenn ihre Verwender sich nicht mehr die Mühe machen, ihre Gefühle in Sätzen zum Ausdruck zu bringen. Da ist neben Faulheit natürlich bei manchen auch Unfähigkeit im Spiel. Die Fähigkeit, sich sprachlich differenziert auszudrücken, lässt nach. Davon singen die Deutsch- und auch die anderen Lehrer allerdings schon lange vor der Erfindung der Emojis ein lautes Klagelied. Doch signalisiert der vernachlässigte Dativ, Genetiv und Konjunktiv nicht Sprachverfall, sondern spiegelt die Tendenz jeder Sprache zur Vereinfachung. Die Sprache sucht sich immer neue, am liebsten einfachere Wege.
So stellt sich die Frage, ob die bunten Bildzeichen nicht bloß Sprachersatz, sondern auch Spracherweiterung sein können. Nicht von ungefähr erklärten die Oxford Dictionaries das Emoji „Freudentränen“ zum „Wortdes Jahres 2015“. Zur Begründung sagte das ehrwürdige Wörterbuch, dass Emojis einen Kernaspekt der digitalen Welt verkörperten, der visuell motiviert, unmittelbar und emotional ausdrucksstark sei.
Daraus zu folgern, die digitale Welt käme nur mit emotional ausdrucksstarken Bildern aus, ist natürlich unsinnig. Die Emojis eignen sich nicht als Sprachersatz. Ihnen mangelt es an Eindeutigkeit, sie sind im Gegenteil oft missverständlich. Außerdem fehlt ihnen die Grammatik. Deshalb lassen sich mit ihnen auch einfache Sachverhalte nicht darstellen. Sie eignen sich als illustrative Ergänzung sprachlicher Aussagen, bereichern die Sprache, fügen ihr Gesichtsausdruck, Mimik oder Tonfall hinzu.
Was dann auf die alte, zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgeworfene Frage lenkt, ob sich denn mit Sprache allein auch wirklich alles ausdrücken lasse, vor allem die Gefühle. Die sogenannten Sprachskeptiker damals verneinten diese Frage, einige von ihnen gaben das Schreiben auf. Vielleicht gibt ihnen der Triumphzug der Emojis heute recht. Vielleicht gibt es ja wirklich Gefühle, die man sprachlich nicht artikulieren kann, selbst wenn man über das Sprachvermögen Rainer Maria Rilkes verfügte. Und vielleicht trifft das Emoji „Freudentränen“ eine so individuell interpretierbare Stimmungslage, wie sie das Wort „Freudentränen“ gar nicht fassen kann.
WDR 3 Mosaik 17. Juli 2020