Das stärkste Argument gegen die staatlich verordneten Beschränkungen während der Coronakrise war und ist, dass sie die Freiheit der Bürger unzulässig einschränken. Ein Argument allerdings, das bei den Bürgern selbst nicht so recht gezogen hat. Zum einen, weil es bei uns in Deutschland tatsächlich nicht zu massiven Freiheitseinschränkungen wie z.B. Ausgangssperren gekommen ist wie in Frankreich oder Spanien. Zum anderen, weil sich die Bundesbürger mehr oder weniger gerne ihre Freiheit nehmen ließen. Sie wussten und wissen ja, dass die entsprechenden Gebote zum Nutzen aller sind und waren.
Zu den freiheitsbeschränkenden Bestimmungen gehört auch die bundesweit geltende Pflicht, in Öffentlichen Verkehrsmitteln, beim Betreten von Gaststätten und in Geschäften Masken zu tragen. In der Tat beschränken Masken die individuelle Freiheit: Sie machen das Atmen schwer, führen zu einem Gefühl der Beklemmung, verunstalten das Gesicht und sind überhaupt hässlich und lästig. Insofern ist die Akzeptanz der Maskenpflicht in der Bevölkerung bemerkenswert: 85 Prozent der Deutschen halten das Maskentragen in der Öffentlichkeit für eine wirksame Schutzmaßnahme. Und folgen entsprechend bereitwillig der Pflicht zum Maskentragen.
Das soll nun anders, die strikte Maskenpflicht zumindest im Einzelhandel zu einer „Empfehlung“ werden, – wenn „das Infektionsgeschehen“ dies zulasse. „Vorgeprescht“ – auch so eine Corona-Vokabel – sind mit diesem Vorschlag einige Landespolitiker. Das Argument, das dafür etwa Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Harry Glawe vorbrachte, bezog sich freilich nicht auf die Freiheit der Bürger. Sondern auf die „Ungeduld des Handels“. Der nämlich scheint in der Maskenpflicht eine Konsumbremse zu sehen. Drastischer bringt es die Arbeitgebervereinigung Hannover zum Ausdruck. „Die Maske wird zum Konsumkiller.“
Nicht mehr die Freiheit der Bürger steht zur Debatte, sondern die Konsumfreiheit. Während die Bürger mit bemerkenswerter, auf das Wohl der Allgemeinheit ausgerichteten Moral ihre Freiheiten suspendieren: Für diejenigen aber, die sich für den Konsum, und das heißt für den damit verbundenen Profit, zuständig fühlen, bedeutet Freiheit nichts weiter als die Freiheit zu konsumieren. Koste es, was es wolle. – Die einen sagen, die Corona-Krise verstärke den Gemeinsinn, führe die Gesellschaft zu größerer Solidarität. Die anderen sagen, sie verschärfe die Widersprüche in der Gesellschaft und mache sie ungerechter statt solidarischer. Am Exempel der Maskenpflicht kann jeder für sich ablesen, in welche Richtung es geht.
WDR 3 Resonanzen 6. Juli 2020