Das Liebenswürdige an der deutschen Sprache ist ihre – nicht zuletzt auf Luther zurückgehende – außerordentliche Körperlichkeit und Deftigkeit. So wurde Deutschland zu dem Land, in dem ein Ausspruch von Luthers Zeitgenossen Götz von Berlichingen Aufnahme in seine heilige Hochkultur fand. Wo also der Arsch und das Arschloch es zum Rang literarisch zitierfähiger Vokabeln brachten. Während jedoch – im Unterschied zum Angelsäschichen – alle „F“-Wörter tabuisiert sind und ihre Verwendung als Schimpfwörter als Beleidigung gilt. – Eine Ausnahme bildete da bis zur letzten Woche die Grünen-Politikerin Renate Künast. Im vergangenen September noch entschied das Berliner Landgericht auf ihre Klage, die auf sie gemünzten Bezeichnungen in Facebook-Posts als „Schlampe“ und „Drecks-Fotze“ seien keine Beleidigungen sondern – „Meinungsäußerungen“ und Künast müsse sie, zumal als Politikerin, als mehr oder weniger normale „Beschimpfungen“ „hinnehmen.“
Dieses Urteil demonstrierte aufs Eindrücklichste die Blindheit gegenüber der in den sogenannten „sozialen Medien“ sich austobenden Frauenfeindlichkeit. Wie auch die Taubheit in Bezug darauf, in welch engem Zusammenhang Wort und Tat stehen, Schimpfwort und Gewalttat, Aufruf zum – und tatsächlicher Mord. – Und das Monate nach dem auf die Online-Hetze folgenden Mord an dem Kasseler Politiker Walter Lübcke im Juni zuvor!. – Erst jetzt, in der vergangenen Woche, hob das Berliner Kammergericht das erste Urteil der Vorinstanz auf und bewertete einen großen Teil der gegen Renate Künast gerichteten Online-Beschimpfungen dann doch als strafrechtlich verfolgbare Beleidigung.
Dieses neue Urteil spielt den Bestrebungen der Bundesregierung in die Karten, die ein neues „Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Gewaltkriminalität“ vorbereitet. Es soll Internetprovider verpflichten, Hass und Drohungen im Netz zu melden, damit sie strafrechtlich schärfer verfolgt werden können. Flankiert wird diese Gesetzesvorbereitung durch die Maßnahmen einiger Bundesländer – darunter NRW – die Sonderstaatsanwaltschaften mit dem Schwerpunkt der Verfolgung strafbarer Hetz-Posts einrichten. Unter dem Motto „Verfolgen statt Löschen“ sollen die Verantwortlichen hinter den Posts ausgemacht und unmittelbar ans Bundeskriminalamt weitergeleitet werden.
So wichtig wie nötig solche Maßnahmen und das sie stützende geplante Bundesgesetz zur Bekämpfung der Hasskriminalität sind: Die Entwürfe dazu offenbaren jetzt schon einen erheblichen Mangel. Sie blenden nämlich die Frauenfeindlichkeit und den Antifeminismus in einer Vielzahl von digitalen Hassnachrichten vollkommen aus und konzentrieren sich allein auf antisemitischen, antimuslimischen, auf Rassenhass. Dabei sei jedoch, so die Kritik des Deutschen Juristinnen-Bundes, der Dreiklangvon Antisemitismus, Rassismus und Frauenfeindlichkeit ein wiederkehrendes Motiv aller Hasskommentare. – Man kann es Juristinnen und Juristen nicht verübeln, dass sie Klaus Theweleits „Männerphantasien“ aus dem Jahr 1978 nicht mehr kennen. Aber dass faschistische Arschlöcher immer auch Frauenhasser sind, erschließt sich eigentlich auch ohne literarische Vorkenntnisse.
WDR 3 Resonanzen 26. März 2020