Éric Vuillard, Der Krieg der Armen. Aus dem Französischen von Nicola Denis. Matthes&Seitz 2020. 68 Seiten. 16,00 Euro
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Ernst Bloch, ein Philosoph, der dem Nachdenken über Utopien verpflichtet ist, widmete 1921 eines seiner ersten Bücher dem Reformator Thomas Müntzer. In Müntzers „Theologie der Revolution“ sah Bloch ein utopisches Denken, das es heute noch fruchtbar zu machen gelte, nämlich die Vorstellung einer gerechten Gesellschaft von Gleichen. – Éric Vuillard nimmt in seinem neuen Buch diesen Faden wieder auf. Nicht philosophisch, sondern mit literarischen Mitteln sucht er Thomas Müntzers zornschäumendem Revolutionsaufruf „Dran, dran, dieweil das Feuer heiß ist“ neues Leben einzuhauchen. Und zwar, indem er über fünf Jahrhunderte einen Bogen schlägt von den Aufständischen im Deutschen Bauernkrieg zu den sozialen Protesten von heute.
Die Worte sind erneut gesprochen, dieselben kleinen Wörter, die ihre Form und ihren Ton verändern, nicht aber ihre Zielscheibe, und die sich, wenn sie den anderen zu Gehör kommen, immer gegen das Geld, die Gewalt und die Macht auflehnen. Diese Wörter werden allmählich zu unseren. Sie werden lange, sehr lange brauchen, um uns zu erreichen.
Und nun, soll das heißen, sind sie da, im Herzen und im Mund der Protestierenden auf den französischen Straßen. Durch die Konstruktion einer historischen Parallele versucht Vuillard ein Licht auf die möglichen Motive der sich heute Empörenden zu werfen. – Anders als im „14. Juli“, seinem Buch über den Sturm auf die Bastille, wählt er für seine Erzählung nicht viele, sondern nur einen Protagonisten, den Prediger Thomas Müntzer. Eingebettet in die pointierte Schilderung der Erhebungen, Feldzüge und Schlachten des Bauernkrieges in Thüringen umreißt er knapp dessen Biografie und sucht mit der ihm eigenen, suggestiven literarischen Technik Müntzers Innenleben zu imaginieren und so die Entwicklung dieses Mannes vom gelehrten luthertreuen Priester zum gewaltbereiten Revolutionsführer zu ergründen.
Mal angenommen, Müntzer ist verrückt. – Sektiererisch. Ja. Messianisch. Ja. Er redet Unsinn. Er hält sich für erleuchtet. Er ist es. Ihn erleuchten die grünen Blätter, der Pferdemist, die Wolken, der große Ameisenhaufen der Städte und seine Befreiungsideen, ihn erleuchten die zertrampelten Felder, die Steuern, die Abgaben, der Windstoß und die Unmengen von Tatsachen, ja, – Gott erleuchtet ihn.
In der Tat artikuliert sich der revolutionäre Furor der aufständischen Bauern in der Sprache der Religion und deshalb sind ihre Anführer Prediger, Theologen wie Müntzer. Obwohl der sich vollständig mit der Sache der unterdrückten Bauern identifiziert, bleibt seine Idee vom Aufstand rein religiös. Sie hat mit der Aufklärung und den Idealen der Menschenrechte, unter deren Vorzeichen alle späteren Revolutionen stehen, nichts zu tun. Vuillard ist sich dessen bewusst.
Trotzdem versucht er, Müntzers Denken und Handeln für uns begreiflich und mit heutigem Widerstandsgeist vergleichbar zu machen. Und damit wiederum dessen Wildheit und Kompromisslosigkeit verständlicher werden zu lassen. Das gelingt ihm auch – diesmal nicht mittels einer mitreißenden Erzählung, sondern durch gewagte Sprachbilder. In ihnen versucht er, – manchmal am Rande des naturmystischen Kitschs, Müntzers pantheistische Theologie nachzuempfinden. Hier erweist sich der Romancier Éric Vuillard eher als Pamphletschreiber. Allerdings versteht er es, aus seinem Pamphlet einen literarischen Genuss zu machen.
WDR 5 Bücher 14. März 2020