Gestern wurden die Ergebnisse der jüngsten Pisa-Studie vorgelegt, die das Leistungsniveau deutscher Schüler im internationalen Vergleich untersucht. Wie bei der ersten Pisa-Studie im Jahr 2000, die den berühmten Pisa-Schock zur Folge hatte, sind die Ergebnisse mehr als ernüchternd.
Im Jahr 1964 prägte der Pädagoge Georg Picht den Begriff der „Bildungskatastrophe“. Damit prangerte er die im internationalen Vergleich niedrigen Bildungsausgaben in Deutschland an, den Mangel an Lehrern und die geringeren Bildungschancen für die Kinder von Arbeitern. Under forderte grundlegende Reformen des dreigliedrigen Schulsystems. Der daraufhin von den Politikern ausgerufene „Bildungsnotstand“ führte anschließend zu einigen Reformen, – aber dann kam mit dem Pisaschock des Jahres 2000 die große Ernüchterung: Es hat alles nichts geholfen. International, so der damalige Befund, ist das deutsche Schulsystem mittelmäßig.
Daran hat sich, der jüngsten Pisa-Studie zufolge, in den letzten 19 Jahren nichts Wesentliches geändert. – Zwar kann man den Sinn eines internationalen Rankings bezweifeln: Zu unterschiedlich sind die jeweiligen nationalen Rahmenbedingungen. Jedoch ermöglichen die Zahlen auch eine Überprüfung der eigenen Entwicklung und zeigen an, ob man den eigenen Ansprüchen gerecht werden konnte. Doch auch da sind die jetzigen Ergebnisse niederschmetternd: Gab es inzwischen leichte Verbesserungen der Kompetenzen der Schüler, sind wir jetzt wieder auf dem Niveau von vor zehn Jahren. In der von der Politik gern beschworenen „Bildungsrepublik Deutschland“ hat also ein echter Rückschritt stattgefunden. Jeder fünfte 15-jährige ist heute im Lesen nicht einmal auf Basisniveau.
Die aktuelle Studie nennt auch einige Gründe dafür. Dass Migranten das Leistungsniveau in den Schulen drücken, ist eine wohlfeile Einsicht. Die Pisaforscher legen aber den Finger darauf, dass es im deutschen Schulsystem offenbar auch am Willen fehlt, Schülern zu helfen, denen grundlegende Kompetenzen fehlen. Gerade die Schulen mit vielen benachteiligten Schülern klagen über die größten Personal- und Ausstattungsprobleme. Abgesehen von der Tatsache, dass immer mehr, Schüler auf Privatschulen gehen, hat sich in den öffentlichen Schulen ganz offenbar ein Zwei-Klassen-System entwickelt. Die Pisa-Forscher kritisieren, dass leistungsstarke und leistungsschwache Schulen mehr als anderswo auf bestimmte Schultypen konzentriert sind. Gymnasien also in der Regel besser dastehen als andere Schulformen.
Obwohl es das dreigliedrige Schulsystem heute nicht mehr so gibt wie noch zu Zeiten der „Bildungskatastrophe“ des Jahres 1964: Die grundlegenden Mechanismen der sozialen Selektion durch die Schulbildung sind nicht nur erhalten geblieben. Die neue Pisa-Studie kommt zu dem Schluss, dass der Schulerfolg heute noch stärker als früher vom sozialen Status der Eltern abhängt. – Natürlich kann man das alles dem dilettantischen deutschen Bildungsföderalismus zuschieben, der eifersüchtig Bundeseinmischungen ablehnt und die eigene Inkompetenz hütet, mit der er notorisch Jahr für Jahr einen immer größeren Lehrermangel produziert. Doch verstärkt die neue Pisa-Studie den Verdacht, dass all die Sprüche von der „Bildungsoffensive“ eben nur Sprüche sind, hinter denen sich ein herzliches Desinteresse daran verbirgt, dass in einer Demokratie Bildung und vor allem Schulbildung etwas sein sollte, das für alle da ist.
WDR 3 Resonanzen 4. Dezember 2019