Die Shell-Jugendstudie 2019 attestiert den heutigen Jugendgenerationen wachsendes politisches Interesse und Engagement. Aber nicht allen Jugendlichen. Die aus unteren und abgehängten Gesellschaftsschichten neigen eher als andere zu rechtspopulistischen Ideologien. Und die Studie macht auch klar, woran das liegt: An der Bildung bzw. am Mangel an Bildung.
Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat den Begriff der Höllenmaschine in die Wissenschaft eingeführt. Zu den „Höllenmaschinen“ im sozialen Maschinenraum zählte er neben anderen – das Bildungs- und besonders das Schulsystem. Wenn vielleicht auch nicht ausdrücklich mit diesem Zweck programmiert, sorge es faktisch jedoch dafür, dass Kinder aus armen Schichten abgewertet werden, dass ungleiche Berufschancen und beschränkte soziale Zugangsmöglichkeiten fortbestehen, dass eine bestimmte Form der Klassenherrschaft intakt bleibt und weiterhin als legitim gilt.
Eine deutliche Bestätigung für die Aktualität dieser immerhin schon über dreißig Jahre alten These liefert die aktuelle Shell-Jugendstudie. Die attestiert zwar erfreulicherweise der Mehrheit der heutigen Jugendlichen anhaltende politische Wachheit und wachsende Bereitschaft zu politischem Engagement. Doch eben nicht allen Jugendlichen. Es gebe eine starke Differenzierung nach sozialer Herkunft, sagen die Autoren der Studie. Die ohnehin Politisierten werden noch stärker politisiert. Die jedoch, die sich von der Politik missverstanden und ignoriert fühlen und nicht darauf vertrauen, etwas verändern zu können, die werden empfänglicher für rechtspopulistische Parolen. Je prekärer die sozialen Verhältnisse, in denen sie leben, desto eher fühlen sich die Jugendlichen tatsächlich benachteiligt. Und neigen gleichzeitig auch zu rechten Verschwörungstheorien. Etwa der, dass die Regierung sie belügt oder dass man nicht mehr sagen könne, was man meine.
Die Studie unterteilt die Jugendlichen zwischen 15 und 25 Jahren in „Kosmopoliten“ (etwa 12 Prozent), „Weltoffene“ (etwa 27 Prozent), „Nicht-eindeutig-Positionierte“ (etwa 28 Prozent) und „Populismus-Geneigte“ (etwa 24 Prozent). Bei der Analyse dieser letzten – immerhin ein Viertel ausmachenden – Gruppe zeigt sich überdies eine eindeutige Beziehung zwischen sozialer Herkunft und Bildungsposition. Je höher die Bildungsposition der Befragten, desto geringer die Populismusaffinität. Mit anderen Worten: Wenn Jugendliche aus den unteren sozialen Milieus kommen, sind sie in der Regel ungebildet. Und je weniger gebildet sie sind, desto eher tendieren sie zu politisch vereinfachtem, sprich populistischem Denken.
Das ist nun keineswegs eine dramatisch neue Erkenntnis. Dass nur eine verschwindende Minderheit von Jugendlichen aus der unteren Schicht es aufs Gymnasium schafft, ein alter Hut. Ebenso die Tatsache, dass das deutsche Schulsystem nicht in der Lage ist, soziale Unterschiede zu kompensieren. Sondern vielmehr systemisch darauf angelegt, diese zu erhalten und zu stabilisieren. Was die Shell-Studie aber mit erschreckender Deutlichkeit vor Augen führt ist, wie die wachsende soziale Ungleichheit in Deutschland zu einer Gefahr für unsere Demokratie wird. Bisher war das immer eine ziemlich abstrakte Behauptung. Jetzt wissen wir genauer, wie das funktioniert. Mit einer von Bourdieus Höllenmaschinen. Dem Bildungssystem.
WDR 3 Mosaik 18. Oktober 2019