Die Reaktionen auf die Vergabe des Literaturnobelpreises an Peter Handke haben sich inzwischen zu einer veritablen Kontroverse ausgeweitet. Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek erinnert an Handkes 2014 geäußerter Meinung, der Literaturnobelpreis gehöre abgeschafft, und schließt mokant an: „Ein Apologet von Kriegsverbrechen bekommt den Nobelpreis“. Und Jennifer Egan vom amerikanischen PEN-Club schreibt, man sei sprachlos ob des Preises für einen Autor, dessen öffentliche Äußerungen die historische Wahrheit untergraben und Beistand für die Täter liefern – besonders in einer Zeit wachsenden Nationalismus, autokratischer Herrscher und weitverbreiteter Desinformation. – Aber gilt auf einmal nicht mehr das Prinzip der Trennung zwischen Autor und Werk?
Der Literaturnobelpreisträger des Jahres 1964 hieß Jean-Paul Sartre. Das Komitee hatte sich trotz erheblicher Bedenken gegenüber der literarischen Qualität des Sartreschen Werkes zur Verleihung entschieden. Die Bedenken betrafen die allzu große Neigung des Autors zur politischen Propaganda. Solche Bedenken hatte es in diesem Jahr nicht. Es zeichnet Peter Handke für sein Gesamtwerk und dessen „sprachlichen Ideenreichtum“ aus. Dass zum umfangreichen und vielschichtigen Werk des Schriftstellers aber auch eine Reihe von Aufsätzen gehört, in denen er die Kriegsverbrechen Ratko Mladics und Slobodan Milosevics beschönigte oder gar leugnete, erwähnte das Komitee nicht. Weiß es aber sicher sehr wohl. Es hält sich jedoch, wie 1964 bei Sartre, an das bewährte bürgerliche Prinzip der Trennung zwischen Autor und Werk.
Diese Trennung schützt den Künstler vor politischer Verfolgung und stellt gleichzeitig sicher, dass eine Gesellschaft Dinge zu hören bekommt, die sie nicht hören will. Würde die moralische oder politische Haltung eines Autors zum Kriterium einer Preisvergabe, verlöre die Kunst ihre Autonomie, d.h. ihren Anspruch, allein ästhetisch bewertet zu werden. – Doch kann man diese Autonomie absolut setzen? Ist Literatur wirklich „rein“ zu haben? Ein kurzer Blick etwa in die Werke de Sades oder Ernst Jüngers offenbart die Absurdität dieser Vorstellung. Um trotzdem den Anspruch von der Autonomie der Kunst aufrecht erhalten zu können, hat sich das Verfahren eingebürgert, sich die Texte eines Autors auszusuchen, die einem passen. Die anderen unterschlägt man.
Anlässlich der Verleihung des Heinrich-Heine-Preises an Peter Handke im Jahr 2006 hat sich Carolin Emcke vehement gegen dieses Verfahren ausgesprochen. Ohne seine Texte, in denen er den Massenmörder Milosevic verharmloste und am Ende gar dem Gericht in den Haag die Legitimität absprach, sei der „ästhetische“ Literat Handke nicht zu bekommen. In der Tat hat der Schriftsteller Peter Handke vom Beginn der Jugoslawien-Kriege Mitte der 1990er an eine eindeutige politische Haltung gezeigt. Und sie auch – und das ist hier der springende Punkt – in literarische Formen gegossen. 1996 – wenige Wochen nach dem Massaker von Srebenica veröffentlichte Peter Handke seinen Text „Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien.“
Der Bonner Germanist Jürgen Brokoff wies im Jahr 2010 anhand dieses und anderer, ähnlicher Texte Handkes über Jugoslawien nach, dass darin das Politische vom Ästhetischen nicht zu trennen ist. Die poetische Sensibilität und die literarischen Mittel, für die er jetzt den Nobelpreis bekommt, dienten dort dazu, die Wahrheit über die Massenmorde zu verharmlosen oder deren Faktizität gar zu bezweifeln. Brokoff kommt zu dem Schluss, dass Handkes literarische Mittel einsetzende Ideologie, gerade weil sie so subtil verfährt, zu den problematischsten Entgleisungen eines deutschsprachigen Autors nach dem 2. Weltkrieg gehört.
1964 lehnte Jean-Paul Sartre bekanntlich den Literaturnobelpreis ab. Er begründete dies damit, dass eine solche Ehrung nicht mit der Freiheit eines Intellektuellen zu vereinbaren sei. Nämlich der Freiheit, sich politisch zu engagieren. Sartre hatte sich nach dem 2. Weltkrieg die Freiheit genommen, den Gulag und andere stalinistische Verbrechen zu leugnen und außerdem noch auf dem historischen Recht zur politischen Lüge bestanden. Er wusste also, was er tat, als er den Nobelpreis ablehnte.
WDR 3 Mosaik 14. Oktober 2019