Alain Mabanckou, Petit Piment. Roman. Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. Liebeskind 2019. 240 Seiten. 20 Euro.
Kolo Loupangou ist ein fürsorglicher Nachbar. Nachdem er beobachten musste, wie Moses zunehmend den Verstand verliert, beginnt im Zickzack zu laufen und schließlich vergisst, wer er ist und wo er wohnt, schleppt er ihn zuerst zum Psychiater. Obwohl der in Paris studiert hat, kann er Moses nicht helfen. So bleibt als letzte Hoffnung der Wunderheiler Ngampika. Immerhin heißt es auf dessen Türschild:
Direkter und legitimer Nachfahre von König Makoko. Ehemaliger persönlicher Schutzzauberer des Bürgermeisters. Spezialist für bekannte und unbekannte unheilbare Krankheiten. Garantierte Rückkehr Ihrer Frau nach 24 Stunden. Zauber gegen Ihre Feinde.
Tief hinein ins moderne Afrika führt Alain Mabanckous Roman, in die Republik Kongo der 1970er Jahre, wo in der Großstadt Pointe-Noire die ersten Wolkenkratzer in den Himmel wachsen und gleichzeitig – trotz sozialistischer Revolution – Stammesfehden, Korruption und Aberglaube den Alltag der Menschen bestimmen. Um dieses wilde Durcheinander von Moderne und Tradition zu beschreiben, wählt der Mabanckou die Perspektive eines Naiven, – zuerst die eines Kindes, das dann, als Erwachsener, verrückt wird: Moses, der Ich-Erzähler des Romans, hat seine Eltern nie kennengelernt und wächst in einem Waisenhaus auf. Die Geschichte beginnt, als er 13 Jahre alt und tief beeindruckt vom katholischen Priester der Waisenhausschule, Papa Moupelo, ist. Denn Papa Moupelo ist für die Kinder nicht nur ein gütiger und weiser Elternersatz: Er beginnt jede seiner Religionsstunden mit dem Pygmäentanz seines Heimatlandes Zaire, dessen Froschsprünge den Jugendlichen einen Heiden-Spaß machen. Doch dann kommt die sozialistische Revolution. Papa Maupelo wird durch die materialistische Dialektik ersetzt und das brutale Regime der Parteiideologen über die Zöglinge so unerträglich, dass Moses mit zwei Kameraden flieht. Doch sein bester Freund, Bonaventure Kokolo, will nicht mit. Er hegt andere Hoffnungen.
Mit einem Stöckchen zeichnete er ein Flugzeug auf den Boden, von dem er sagte, es würde eines Tages nur wegen ihm vor dem Waisenhaus landen. Seine Leidenschaft für Flugzeuge war so groß, dass ihn nichts mehr an seinem Platz hielt, sobald er eines am Himmel hörte. Er rannte zum Fenster und harrte dort so lange aus, bis der Flieger in den Wolken verschwand.
Moses dagegen, der den Spitznamen Petit Piment trägt, weil er im Waisenhaus Chili als Geheimwaffe gegen unliebsame Mitzöglinge einsetzte, sucht in der Großstadt Pointe Noire sein Glück. Zuerst schlägt er sich mit einer kleinkriminellen Jugendbande durch, dann landet er im Freudenhaus von Mama Fiat 500, einer aus Zaire in den Kongo geflohenen Prostituierten. Die schließt ihn in ihr weites Herz und will für seine Zukunft sorgen. Doch dann fällt sie einer rassistischen Kampagne des Bürgermeisters gegen Flüchtlinge aus Zaire zum Opfer und wird ermordet. Moses verliert darüber den Verstand. – Durch die Wahl der Perspektive eines Naiven und eine bewusst naive Sprache stellt der Autor seine Geschichte in die Tradition der Schelmenromane. Eine glückliche Wahl. Denn nur ein Verrückter kann diese verrückte afrikanische Wirklichkeit ertragen und daraus eine schöne und anrührende Geschichte machen.
WDR 5 Bücher 12. und 13. Oktober 2019