Der amerikanische Stahlindustrielle Andrew Carnegie war einer der reichsten Amerikaner seiner Zeit. 1889 verfasste er einen Essay mit dem Titel „Das Evangelium des Reichtums“. Darin plädierte er dafür, dass der Reichtum in den Händen weniger die Profiteure des Kapitalismus dazu verpflichte, der Gesellschaft etwas zurück zu geben. Sonst werde der Tag kommen, an dem man über den Mann, der mit einem angehäuften Millionenvermögen stirbt, ohne es vorher zum Wohle der Gemeinschaft einzusetzen, sagt: „Der Mann, der so reicht stirbt, stirbt in Schande“.
Auf den Tag können wir, hier in Deutschland zumindest, wohl noch lange warten. Seit Jahren, Jahrzehnten verfolgen wir in den Statistiken, wie die Ungleichheit der Vermögen bei uns weiter und weiter wächst, wie die Reichen immer reicher werden und die unten immer weniger am gesellschaftlichen Gesamtvermögen besitzen. – Doch davon, dass die Reichen etwas von ihrem Vermögen an die Gesellschaft abgeben, hört man wenig. Dafür umso mehr davon, wie sie es auf den Bahamas vor dem Fiskus, und das heißt vor der Gemeinschaft in Sicherheit bringen.
Es ist schon höchst erstaunlich, ja eigentlich überhaupt nicht zu glauben, dass dieser Prozess der Auseinanderentwicklung der Vermögen so gar kein Thema in der öffentlichen Debatte ist. Dabei ist er ein Skandal. Denn er hat zu einer wachsenden Spaltung der Gesellschaft geführt. Mehr Reichtum und mehr soziale Ungleichheit gehen Hand in Hand. Die immer größer werdende Gruppe der Abgehängten wird von der Teilnahme an Kultur und Bildung ausgeschlossen, und damit auch der Möglichkeit sozialen Aufstiegs beraubt. Die in Schweizer Internaten erzogenen Kinder der „Oberen Zehntausend“ dagegen haben mit dem Leben der Alltagsgesellschaft nichts mehr zu tun.
Das ist nicht nur ein moralisches Problem. Sondern eine Gefahr für die Demokratie. Die Akkumulation riesiger Vermögen in den Händen weniger bedeutet auch eine Akkumulation von Macht in den Händen kleiner Gesellschaftsschichten, die ihre Privilegien vererben wie im Feudalismus. – Womit man auf die Ursache der Blindheit und Taubheit gegenüber der Vermögensungleichheit gestoßen ist: Auf das aus der Feudalzeit stammende Erbschaftsrecht. An dieser Tradition wagt hierzulande niemand zu rütteln. Wobei doch spätestens seit dem ersten buch des französischen Ökonomen Thomas Piketty im Jahr 2014 jedem klar sein sollte, dass das Anhäufen der riesigen Vermögen allein auf Erbschaften und ihrer privilegierten Behandlung durch die Gesetzgeber beruht.
Dieser weitgehend unwidersprochenen Erkenntnis zum Trotz ist bei uns jede Diskussion über eine nennenswerte Erbschaftssteuer zum Scheitern verurteilt. Was nicht nur an der Macht der Reichen liegt. Sondern auch an den eher unrealistischen Fantasien der Mehrheitsbevölkerung, es gäbe in der Verwandtschaft vielleicht irgendwann mal „was zu erben“. – Sinnvoller als alle Zukunftserwartung auf einen Lottogewinn zu setzen, erscheint der Vorschlag Thomas Pikettys. In seinem neuen, eben erschienenen Buch regt er eine progressive Vermögenssteuer ab 100.000 Euro an, die für Milliardäre immerhin 90 Prozent betragen soll. Damit käme er auch den Vorstellungen des amerikanischen Milliardärs Edward Carnegie entgegen. Der sah nicht ein, dass große Vermögen der Familie desjenigen zuständen, der sie erworben hat. Sondern der Gesellschaft bzw. dem Staat, die die Bedingungen für ihren Erwerb herstellten. Das Wort „Sozialismus“ wäre einem Tycoon wie Edward Carnegie dabei nicht in den Sinn gekommen.
WDR 3 Mosaik 7. Oktober 2019