Antony Beevor, Arnheim. Der Kampf um die Brücken über den Rhein 1944

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Antony Beevor, Arnheim. Der Kampf um die Brücken über den Rhein 1944. Verlag C.Bertelsmann 2019. 543 Seiten. 28 Euro

 

Was man heute noch am ehesten von der Schlacht um Arnheim erinnert, ist der mit einem Dutzend internationalen Stars besetzte britisch-amerikanische Spielfilm „Die Brücke von Arnheim“ aus dem Jahr 1977: Bilder vom gnadenlosen Häuserkampf um die Arnheimer Straßenbrücke über den Rhein, Bilder vom schmachvollen Rückzug der britischen, amerikanischen und polnischen Fallschirmjäger. – Im Original hieß der Film „A Bridge too Far“, – eine Brücke zu weit weg. Damit ist auch gleich die Ursache für diese letzte und größte Niederlage der Westalliierten im 2. Weltkrieg beschrieben: Das Ziel der Luftlandeoperation, die mehr als 100 Kilometer hinter der Front liegenden Rheinbrücken in Arnheim, war zu weit weg von der Hauptstreitmacht der Alliierten. Ohne deren Unterstützung waren die Luftlandetruppen zu schwach, Arnheim zu halten und dort den Rhein zu überqueren. – Der Niederlage lagen unglaubliche Planungsfehler zugrunde, die heute noch von Historikern diskutiert werden und die auch den renommierten britischen Militärhistoriker Antony Beevor zu einer neuen, großen Gesamtdarstellung der „Market Garden“ genannten Operation veranlasst hat. – Verantwortlich dafür waren erhebliche Kompetenzstreitigkeiten zwischen der amerikanischen und britischen Führung, insbesondere die Eitelkeit des britischen Generalfeldmarschalls Bernhard Montgomery. An ihm lässt Beevor gleich zu Beginn seiner Darstellung kein gutes Haar.

Montgomery zeigte nicht das geringste Interesse an den praktischen Problemen für Luftlandeoperationen. Brigadier Bill Williams, Montgomerys Aufklärungschef, wies darauf hin, dass Monty keinerlei Geländestudien betrieben hatte, als er über die Operation entschied. Am allerwichtigsten aber war, was nie offen zugegeben wurde: Die ganze Operation hing davon ab, dass alles ideal funktionierte.

 Doch nichts funktionierte bei der Umsetzung des Plans ideal. Zuerst stellte sich heraus, dass seine Grundannahme nicht stimmte. Im Operationsgebiet zwischen den Städten Eindhoven und Arnheim waren die Deutschen keineswegs so schwach wie von den Alliierten vermutet. Zwar befanden sich die deutschen Panzertruppen dort tatsächlich zunächst in Auflösung oder beim Abmarsch in andere Kriegsgebiete. Doch organisierten sie sich, sobald sie die Absicht der Alliierten durchschaut hatten, blitzschnell um und konnten die britischen Luftlandetruppen in Antwerpen zum Rückzug zwingen.

Was alle Beteiligten auf Seiten der Alliierten übersahen, war die außerordentliche Fähigkeit der deutschen Kriegsmaschine, rasch und entschlossen zu handeln.

Mit der gleichen Detailgenauigkeit, die seine bisherigen Darstellungen des Zweiten Weltkrieges auszeichnet, geht Beevor auch dem Kriegsgeschehen in den Niederlanden nach. Tag für Tag schildert er die verzweifelten Versuche der Alliierten, im von den Deutschen besetzten Gebiet Fuß zu fassen. Zuerst die im Wesentlichen gelungene, am  17. September beginnende Luftlandeoperation um Arnheim und Nimwegen: Fast 40.000 Fallschirmjäger samt Panzern und Artillerie werden in drei Tagen auf feindlichem Gebiet abgesetzt. Doch auch hier zeigen sich alsbald erhebliche Planungsmängel. Zu weit auseinander und zu weit entfernt von den eigentlichen Zielen gehen die Truppen nieder. Zu lang und damit angreifbar werden ihre Linien. Und die Hauptstreitmacht, die sie entsetzen soll, kommt nicht voran, wird vom erbitterten Widerstand der Deutschen 30 Kilometer vor Arnheim aufgehalten. Hinzu kommen Kommunikationsprobleme: Die Funkgeräte erweisen sich als zu schwach für die Entfernungen. Entsprechend erfolgreich ist die Gegenwehr der Deutschen, vor allem von SS-Panzertruppen. In Arnheim gelingt es ihnen, die britischen Truppen einzukeilen. Es kommt zum berüchtigten Häuserkampf: Etwas, was Antony Beevor wie kaum ein anderer Militärhistoriker beschreiben kann.

Selbst das 11th Parachute Bataillon sah sich zum Rückzug gezwungen, wie Major Blackwood berichtete. 13. Uhr. Meldung, dass deutsche Panzer uns umgangen und eingeschlossen haben. Unsere Befehle waren knapp: Auf die Panzer warten, sie mit allen verfügbaren Handgranaten bewerfen und so viele Infanteristen erschießen, wie wir können, bevor wir sterben. Mit Scott trat ich in eines der Eckhäuser, sagte zu dem besorgt dreinschauenden Mieter “Guten Morgen” und ging nach oben in das Zimmer mit der besten Aussicht. Es war ein bemerkenswert schöner Raum zum Sterben.

Auch in „Arnheim“ bleibt Antony Beevor ein klassischer Militärhistoriker: Allein die Schlacht interessiert ihn, ihre Planung und ihr Verlauf. Und am Ende gerade noch die Folgen. In dem Fall, dass der Krieg durch die Niederlage in Arnheim erheblich verlängert wurde, die Deutschen an der Westfront noch einmal Kräfte für die Gegenoffensive in den Ardennen sammeln konnten. – Der Nachteil rein militärhistorischer Darstellungen ist zum einen, dass sie sich oft zu sehr in Details verlieren und zum anderen, dass sie Krieg zu sehr als ein allein strategisches Geschehen betrachten, das durch ihn verursachte menschliche Leid aber ausblenden. Den ersten Vorwurf kann man auch Beevor machen: So detailliert ist seine Darstellung, dass der Leser oft den Überblick verliert. Aber dass ihn das Leiden der Soldaten und auch der in Arnheim ganz besonders betroffenen Zivilisten nicht interessierte, kann man ihm nicht vorhalten. Was allein schon an seiner Methode liegt, unter Zuhilfenahme autobiografischen Materials das unmittelbare Geschehen weitgehend aus der Perspektive der unmittelbar Handelnden zu schildern. Auf diese Weise wird Kriegsgeschichte auch für ein breiteres Publikum wenn nicht gerade zu einem Vergnügen, so doch zu einem beeindruckenden Leseerlebnis.

WDR 3 Mosaik 27. September 2019