Die designierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Kommissare vorgestellt, die sie dem Europaparlament vorschlagen möchte. Und sie hat den Kommissionen, denen diese vorstehen sollen, neue Namen gegeben. Auch die für Migrations- und Asylpolitik zuständige Kommission hat eine Namensänderung erhalten. Von der Leyen nennt sie die Kommission zum „Schutz unseres europäischen Lebensstils“. Im Original: „Protecting our European way of life“.
Mit seinem Buch „Die feinen Unterschiede“ begründete Pierre Bourdieu vor genau vierzig Jahren die moderne Soziologie. Bei den „feinen Unterschieden“ geht es um die Strategien, mit denen sich die eine Gesellschaftsschicht von der anderen zu unterscheiden sucht. Natürlich geht das immer von oben nach unten. Je höher man sich in der Gesellschaftshierarchie wähnt, desto feiner werden die Merkmale, durch die man Differenz signalisiert – und damit Distanz herstellt. Man trinkt nicht Sekt sondern Champagner – und nicht nur irgendeinen. Man spielt nicht mehr nur Tennis sondern golft. Um vom Helikopterski zu schweigen. Lebensstil nennt sich das. Oder Lifestyle. Oder „way of life“, wie sich die designierte EU-Kommissionspräsidentin ausdrückt.
Der Zusammenhang, in dem sie dieses Wort verwendet, passt exakt zu dem Feld, das der Soziologe Bourdieu seinerzeit beschrieb: Es geht um Abgrenzung und Ausgrenzung. Wenn man eine Institution, die sich um Einwanderung nach und Asyl in Europa kümmern soll, „Kommission zum Schutz unseres europäischen Lebensstils“ nennt, sagt man nicht aber meint damit, dass dieser „Lebensstil“ etwas ganz Anderes und vor allem etwas viel Besseres als alle anderen, nicht-europäischen Lebensstile ist. Denn warum sonst sollte man ihn „schützen“ und das heißt ja: Nach Leibeskräften verteidigen wollen?
Nun versteht die frühere deutsche Verteidigungsministerin unter „Lebensstil“ wohl nicht in erster Linie die spezielle Art und Weise, wie Europäer zu speisen oder zu trinken, sich zu kleiden oder Sport zu treiben pflegen. Und kaum auch die „Werte“, auf denen die EU gründet, wie ihre jetzt nachgeschobene Behauptung lautet: Die dazu gehörende „Achtung der Menschenwürde“ hat wohl kaum etwas damit zu tun, dass unter den Augen europäischer Grenzschützer täglich Afrikaner im Mittelmeer ertrinken.
Von der Leyens Parteifreund Wolfgang Weber dagegen, der sich vor ihr um das Amt des Kommissionspräsidenten bewarb, ließ in einem Interview im März vergangenen Jahres sehr viel deutlicher erkennen, was eigentlich unter einem „europäischen Lebensstil“ zu verstehen ist. Sicherheiten wie der stetig wachsende Wohlstand seien in Europa nicht mehr „so da“ sagte er. Der europäische Lebensstil „wackele“. Es gehe ums „Überleben der europäischen Lebensart“. Und um dieses „attraktive Lebensmodell“ zu verteidigen, müsse man halt, wenn nötig, Zäune um Europa bauen.
„Europäischer Lebensstil“ bedeutet also in der Terminologie unserer Europapolitiker trivialerweise nichts anderes als „Lebensstandard“. Als die Art und Weise, wie wir „unseren“ Reichtum zu genießen pflegen. Auf Kosten aller anderen auf der Welt. „Lebensstil“ klingt halt nur besser als „Lebensstandard“. Und im Sinne Pierre Bourdieus auch sehr viel vornehmer. Denn so macht man sich nicht mit den ausländerfeindlichen Dumpfbacken gemein, die sagen, die „Flüchtlinge“ nähmen uns die Sozialhilfe und die Kita-Plätze weg. Handelt aber ganz in ihrem Sinne.
WDR 3 Resonanzen 13. September 2019