Ende 2012 führte das Umfrageinstitut EMNID zum ersten Mal eine Erhebung zur „Willkommenskultur“ in Deutschland durch. Weitere folgten 2015 und 2017. Jetzt liegt die vierte und jüngste Umfrage im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung vor.
Zu Beginn des deutschen Nationalstaates im 19. Jahrhundert steht der Traum von der Nation als einer homogenen Abstammungsgemeinschaft. „Mischlinge von Tieren“, schrieb „Turnvater“ Friedrich Jahn, „haben keine echte Fortpflanzungskraft und ebenso wenig Blendlingsvölker ein eigenes volkstümliches Fortleben.“ Obwohl die Nazis daraus einen blutigen Albtraum machten, träumt man in Teilen der AfD diesen Traum weiter und münzt ihn um zur rassistischen Propaganda gegen „Volksfremde“, insbesondere gegen die Flüchtlinge. Das hat einem anderen deutschen Traum, dem von der „Willkommenskultur“, erheblichen Schaden zugefügt.
Als die Kanzlerin im August 2015 ihr „Wir schaffen das“ aussprach, folgte sie einer Stimmung in der Bevölkerung, die die nach Deutschland kommenden Bürgerkriegsflüchtlinge willkommen hieß. Die sogenannte „Kölner Silvesternacht“ im gleichen Jahr und die nachfolgende Debatte um die „Flüchtlingskrise“ jedoch veränderten die Wahrnehmung der Migranten. Seitdem war mehr von „Stresstest“, „Kontrollverlust“ und von „Belastungsgrenzen“ statt von der Offenheit und Hilfsbereitschaft der Bevölkerung die Rede. Nach einer Umfrage im Jahr 2017 glaubte die Mehrheit der Deutschen, die Migranten stellten eine Belastung für den Sozialstaat dar, sah in ihnen vor allem Konkurrenten auf dem Wohnungsmarkt, in ihren Kindern vorrangig ein Problem fürs Schulsystem.
An dieser Gefühls- und Meinungslage hat sich der neuesten Untersuchung zufolge nur wenig geändert. Nur ein bisschen wohlwollender wurde der Blick der Deutschen auf die Fremden. Bei der Mehrheit überwiegt immer noch die Skepsis gegenüber Migranten. Doch schauen die „Einheimischen“ jetzt ein bisschen genauer hin als vor zwei Jahren: Auch die Chancen der Einwanderung werden jetzt deutlicher wahrgenommen. Zwei Drittel der Befragten erkennen einen positiven Effekt für die Wirtschaft oder gegen die Überalterung der Bevölkerung. Ebenfalls stieg die Aufnahme- und Hilfsbereitschaft gegenüber Flüchtlingen, die während der „Fluchtkrise“ deutlich zurückgegangen war.
Das prägnanteste Ergebnis der neuen Studie allerdings ist, dass sich die Jungen, die unter 30-Jährigen, in ihren Wahrnehmungen und Einstellungen gegenüber den Migranten deutlich von den älteren Jahrgängen unterscheiden. Anders als bei den Älteren glaubt nur noch eine Minderheit der jungen Menschen, es gebe zu viel Einwanderung in Deutschland. Sie „fokussieren die Chancen“, heißt es in der Studie“ und „freuen sich mit großer Mehrheit an einer bunteren Gesellschaft.“
Dass die „Jungen“ so denken, hat kaum damit zu tun, dass sie in der bunten Werbe-Welt von Benetton groß wurden, sondern eher damit, dass sie selbst „bunt“ sind. Zwanzig Prozent der Bevölkerung in Deutschland haben einen sogenannten Migrationshintergrund. Bei den unter 30-Jährigen sind es dreißig Prozent. Sie konnten gar nicht anders und haben Deutschland und die Deutschen schon immer als ein „Blendlingsvolk“ wahrgenommen. Die „Reinheit der Nation“ bleibt ewig ein Wunschtraum der Rassisten. Nicht nur in Deutschland.
WDR 3 Mosaik 30. August 2019