Unter einer „flüchtigen Faszination“ kann man sich viel Schönes vorstellen. Die Faszination etwa, die von einem vorüberwehenden Duft ausgeht, von der Erinnerung an einen angenehmen Traum oder an eine vergessen geglaubte Melodie. Wenn Typen wie Wladimir Putin oder Donald Trump „flüchtige Faszinationen“ haben, dann träumen sie von der Krim oder, noch eine Nummer drüber, von Grönland. Trumps jüngste „flüchte Faszination“ jedenfalls soll, so einer seiner Mitarbeiter, der Kauf Grönlands sein, immerhin die größte Insel der Welt.
Das könnte einerseits darauf hin deuten, dass Trump jetzt „tatsächlich verrückt geworden ist“, wie ein Sprecher der Dänischen Volkspartei sagt. Schließlich gehört Grönland zu Dänemark, einem souveränen Staat. Andererseits stünde ein solcher Kauf in der Tradition amerikanischer Außenpolitik, die immer schon, wie man heute wieder sagt, Geopolitik war. Geopolitische Erwägungen führten 1867 dazu, dass die USA Alaska von Russland kauften. Und aus ebensolchen Gründen stand auch Grönland schon einmal, nämlich 1946, zu Beginn des Kalten Krieges, auf ihrem Einkaufszettel. Damals lehnte Dänemark ab. Doch hat die Insel seitdem nichts von ihrem strategischen, vor allem militärstrategischen Wert, eingebüßt. Im Gegenteil. Geopolitik ist wieder angesagt. Nicht nur seitens der USA.
Der Begriff Geopolitik entstand Ende des 19. Jahrhunderts aus einer Denkweise, die die Geografie politisch zu deuten versucht. Geopolitische Analysen ordnen ganze Länder, Kulturkreise und Bevölkerungen einer auf Machtausdehnung ausgerichteten Logik unter. Mit der ließen sich sowohl der Kolonialismus wie die faschistische Lebensraum-Politik rechtfertigen. Auch Korea- und der Vietnam-Krieg waren Konsequenzen dieser Logik. Als der Kalte Krieg für beendet erklärt wurde, nährte das die Hoffnung, dass solche Art von Geopolitik endlich überholt und der Weg frei für eine multilaterale Politik, eine vielfältig vernetzte friedliche Welt sei. Dass das veraltete Denken in Einflusszonen abgelöst werde von der Herrschaft des Rechts. Dass im Umgang zwischen Staaten Institutionen, Verträge und Werte wichtiger sind als die Geografie. – Diese Hoffnung hat sich spätestens mit der Herrschaft der Putins und Trumps als ein schöner Traum herausgestellt.
Im Jahr 1795 hatte ein deutscher Philosoph auch einmal so etwas wie eine „flüchtige Faszination“. Um sie festzuhalten, gab er ihr die Form eines Vertrages und nannte ihn „Zum ewigen Frieden“. Diesen Frieden zu sichern hielt Immanuel Kant für eine Aufgabe der Politik. Die habe ihre Interessen einer von der Vernunft geleiteten kosmopolitischen Idee unterzuordnen. Die Vernunft, auf die Kant noch vertraute, scheint inzwischen aufgebraucht.
WDR 3 Mosaik 19. August 2019