Bruno E. Werner, Die Galeere. Roman. Suhrkamp Taschenbuch. 568 Seiten. 14,00 Euro
Ein paar Wochen nach der „Machtergreifung“ Hitlers im Januar 1933 tagt der Schriftstellerverband in einem Palais am Potsdamer Platz. Über die Schmalwand des Raumes ist eine Hakenkreuzfahne gespannt. Der Schriftführer verliest eine Erklärung, wonach sich der Verband nunmehr verpflichtet, am „Wiederaufbau einer Organisation des deutschen Schrifttums“ mitzuarbeiten. Anschließend lässt er einen Zettel mit sechs Namen verteilen, die nach dem Führerprinzip zu Fachschaftsleitern ernannt worden sind. Doktor Georg Forster, Feuilletonredakteur einer großen Berliner Tageszeitung, erschrickt, als er seinen eigenen Namen auf der Liste sieht: „Führer des deutschen Kulturschrifttums“. Das passt ihm gar nicht. Mit den Nazis hat er nichts am Hut. Mit unterdrückter Empörung wendet er sich in einer Sitzungspause an den Schriftleiter. Der sucht ihn zu beruhigen.
Ich weiß alles, was Sie sagen wollen. Ich habe es gut gemeint, als ich Sie auf die Liste setzte. Aber glauben Sie mir als Älterem: Schweigen Sie jetzt, seien sie still, mischen Sie sich nicht in die Diskussion. Schweigen Sie, wenn Ihnen Ihre Freiheit lieb ist.
Und das tut er fortan auch, der Feuilletonredakteur Georg Forster: Er schweigt. Seine Ablehnung der Nazis kann man fortan nur zwischen den Zeilen seiner Artikel lesen. Allenfalls. Wenn überhaupt. – Das hat er mit seinem Erfinder, dem Feuilletonredakteur Bruno E. Werner, gemein. Von 1926 bis 1938 gehörte Werner der Feuilleton-Redaktion der liberalkonservativen Deutschen Allgemeinen Zeitung in Berlin an, wurde 1934 sogar ihr Leiter, verfasste vor allem Kunstkritiken. 1932 hatte er in einem Leitartikel gefordert, die Kunst müsse als „schöpferischer Ausdruck der Nation“ dienen. Im Oktober 1933 gehörte er zu den 88 deutschen Schriftstellern, die das Gelöbnis treuester Gefolgschaft zu Adolf Hitler unterzeichneten.
Nun ist die Romanfigur Georg Forster keineswegs identisch mit dem Schriftsteller Bruno E. Werner. Der Roman ist kein Selbstporträt, obwohl er sich an den entscheidenden Schnittstellen an die Biografie Werners anlehnt. Dessen Einstufung als „Halbjude“ überträgt der Roman beispielsweise auf Marion, die Frau des Protagonisten, die den Nazis als „Mischling zweiten Grades“ gilt. Umstände, die sowohl den Verfasser wie die Romanfigur in Schwierigkeiten bringen. Ansonsten aber lavieren beide weitgehend ungeschoren fast bis zu deren Ende durch die Nazi-Diktatur. Und die Gedanken Werners werden in jener Zeit ganz ähnliche gewesen sein, wie die seines Protagonisten Georg Foster.
Es gibt für uns nur noch zwei Möglichkeiten. Entweder klar zu erkennen zu geben, dass wir die Burschen hassen und Hitler am liebsten aufhängen würden, – dann werden wir alle still und geräuschlos verschwinden. Die andere Möglichkeit: Klug zu sein wie die Schlangen. Das klingt etwas pathetisch. Aber man kann nur auf dem kleinen bescheidenen Gebiet seines Berufes das mit einer gewissen Elastizität verteidigen, was man als recht erkannt hat.
Doch selbst davon kann bald schon keine Rede mehr sein. Das Regime duldet auch im Feuilleton nur Journalisten, die sich seiner Ideologie nicht nur bedingungslos unterwerfen, sondern sie auch propagieren. Wozu Georg Forster nicht bereit ist. Er wechselt zu einem völlig unpolitischen Kunstbuchverlag. Wobei ihm auch dort bald klar wird, dass es im Nazireich keine unpolitische Kunst gibt und die Bücher, die er hier betreut, dessen Kulturpropaganda dienen.
Bruno E. Werner gilt als ein typischer Vertreter der sogenannten „Inneren Emigration“, also derjenigen, die nach dem Ende der Nazidiktatur behaupteten, dageblieben ohne dabei gewesen zu sein, weitergemacht, ohne mitgemacht zu haben. Oder, wie es die Romanfigur Georg Forster von sich behauptet, „unfähig zum Bösen“ gewesen zu sein und „nicht stark genug zum Guten“. „Die Galeere“, Werners erster, zwischen 1943 und 1947 geschriebener Roman, wurde nach seinem Erscheinen als der Versuch einer Rechtfertigung dieser lauen Haltung interpretiert – und auch kritisiert. „Sperrholz, hochglanzpoliert“ und: „Weder wahr noch unterhaltsam“, hieß es in den Kritiken. Der Autor verteidigte sich: Eine Selbstrechtfertigung habe er weiß Gott nicht nötig. Sein Buch sei vielmehr der „eisgekühlte Versuch der Analyse einer ganzen Schicht während einer ganzen Epoche.“
Aus heutiger Sicht haben beide, Kritiker und Autor Recht. Über eine lange Strecke des Romans geschieht wenig: Denn wenn sich jemand so angepasst verhält wie sein Held Georg Forster, gibt es auch wenig zu erzählen. Dramatisch wird es erst, als Forster wegen seiner halbjüdischen Frau in einen wirklichen Konflikt mit dem Regime gerät und untertauchen muss. Stilistische Brillanz gewinnt Werner auf den letzten Seiten bei seiner Schilderung des Infernos nach dem großen Bombenangriff auf Dresden im Februar 1945.
Gleichwohl ist die „Galeere“ trotz ihrer erzählerischen Schwächen ein beeindruckendes Dokument, dem der Suhrkamp-Verlag so viel aktuelle Bedeutung zumisst, dass er sich zu einer Neuauflage entschloss. Denn am Beispiel seiner meist aus dem intellektuellen Milieu stammenden Protagonisten demonstriert Bruno E. Werner, wie Menschen in den Jahren nach 1933 sich gefühlt und verhalten haben, die nicht oder nicht ganz mit dem Nazi-Regime einverstanden waren. Wie sie sich anfangs von seinen Erfolgen mitreißen ließen. Und erst die sich abzeichnende militärische Niederlage sie zur Besinnung brachte. Allerdings ohne dass sie Konsequenzen daraus zogen. Erst die Erfindung der „Inneren Emigration“ bot ihnen die Möglichkeit, ihre Lauheit als eine Art von Widerstand auszugeben.
WDR 3 Mosaik 5. August 2019