„Worte und Taten“ überschrieb im April 1920 Kurt Tucholsky ein Gedicht, das er als Theobald Tiger in der „Weltbühne“ veröffentlichte. Darin warf er den Regierungen der jungen Weimarer Republik vor, auf ihre Worte keine Taten folgen zu lassen. „Man werde – spricht man – den Kapp-Putsch bestrafen. /Man geht aber sachteken, sachteken schlafen. /Man erstrebe in der ganzen Verwaltung eine neue, demokratische Haltung…/Aber wie das so geht: Warum denn gleich tun? /Das wäre schön dumm. /Reden genügt ja dem Publikum!“
Diese unterlassenen „Taten“ – die unzureichende Demokratisierung der staatlichen Strukturen und die Willfährigkeit gegenüber den Rechtextremisten – haben 1933 das Ende der ersten deutschen Republik befördert. Und: Dass im Unterschied zu den demokratischen Politikern die Rechtsextremisten auf ihre Worte sehr wohl Taten folgen ließen. Die Morde an Politikern wie den ehemaligen Reichsfinanzminister Matthias Erzberger oder Außenminister Walther Rathenau waren unmittelbare Folgen monatelanger Hetzkampagnen. „Knallt ab den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau.“
Geschichte wiederholt sich nicht. Doch sind historische Vergleiche nicht nur legitim, sondern auch lehrreich. Der mutmaßlich erste politische Mord in der Geschichte der zweiten deutschen Republik an dem CDU-Politiker Walter Lübcke ist ebenso eine Folge rechtsradikaler Propaganda wie die politischen Attentate und Morde in der Weimarer Republik. Hier wie damals gehen Häme und Hetze – Worte eben – den Gewalttaten voraus. Worte verwandeln sich in Hass. Hass lässt Flüchtlingsheime brennen. Flüchtlinge erstechen. Und jetzt auch Politiker erschießen, die sich für Flüchtlinge einsetzen.
Dieser Zusammenhang zwischen Worten und Taten ist wohl bekannt. Ohne die Hetze des digitalen Mobs gäbe es nicht die stetig wachsende Zahl rechtsradikaler Gewalttaten. Auffällig ist allerdings, dass diejenigen, die jetzt am lautesten in der „fatalen Verrohung“ der politischen Sprache die Ursache für die Gewaltexzesse ausmachen, erheblich zu eben dieser „Verrohung“ beigetragen haben. Die von Friedrich Merz im Jahr 2000 angezettelte „Leitkultur“-Debatte schuf ebenso ein ausländerfeindliches Klima wie Horst Seehofers Rede von der „Herrschaft des Unrechts“ in Bezug auf Merkels Flüchtlingspolitik. Worte eben. Nicht roh, aber so giftig, dass sie auch in der Mitte der bundesrepublikanischen Gesellschaft das Klima schufen, in dem dann an den rechten Rändern der Hass gedeihen konnte.
Trotz aller Erinnerungsgespenster: Die Bundesrepublik ist nicht Weimar. Die – inzwischen durch eine lautstarke parlamentarische Vertretung unterstützte – rechtsradikale Propaganda gebiert Gewalt. Aber sie schafft – noch – keine allgemeine, den demokratischen Staat bedrohende Atmosphäre des Terrors. Dazu sind – ganz im Unterschied zu Weimar – Demokratie und demokratische Haltung in allen staatlichen Strukturen der Bundesrepublik viel zu gefestigt. – Gleichwohl bleibt noch jede Menge zu tun. Nicht nur stehen härtere Strafverfolgungen von Morddrohungen gegen Politiker auf dem Programm. Auch sollte das Publikum die Zündler und Stichwortgeber in der sogenannten Mitte nicht aus dem Auge lassen.
WDR 3 Resonanzen 21.Juni 2019