„Je weniger die Leute davon wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie.“ Dieser Ausspruch wird gerne dem Reichskanzler Otto von Bismarck untergeschoben, obwohl er ihn nie tat. Dennoch passt er zu ihm und seinem Verständnis von Demokratie. So, wie er auch zu Horst Seehofer und dessen Demokratieverständnis passt. Gemeint ist damit, Gesetze so weit wie möglich unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu machen, damit die nicht nur mitkriegt, wie unappetitlich dieser Vorgang mitunter ist. Auch und vor allem, damit sie am besten überhaupt nicht mitbekommt, welchen Inhalt und welche Bedeutung das neue Gesetz hat. Denn wie lästig wäre es, wenn diese Öffentlichkeit wochenlang darüber diskutierte! Und wenn sich als Ergebnis dieser Diskussion herausstellte, dass es schlecht gemacht oder gar verfassungsrechtlich bedenklich oder nicht haltbar wäre!
Die Methoden des legislativen Quasi-Betrugs brauchten nicht erst durch das tattrige Geplapper des Innenministers offengelegt werden. Sie sind wohl bekannt, werden jedes Mal, wenn sie zur Anwendung kommen, von der Opposition und einigen Medien scharf kritisiert. Und haben – weil hinter dieser Praxis System steckt – trotzdem Erfolg. Zumal das Parlament, der eigentliche Gesetzgeber, das Spiel der Regierung entweder willfährig oder einfach nur faul mitspielt.
Gibt es Gesetzesvorhaben, die für das demokratische Rechtsempfinden problematisch sind – zum Beispiel der sogenannte Staatstrojaner, Eingriffe in die Tarifautonomie oder wie jetzt eine härtere Abschiebepraxis für Ausländer – greift die Regierung gerne zu Tricks, um eine gründliche Diskussion des Gesetzes zu verhindern. Der beliebteste und am häufigsten angewandte ist der, das Gesetz kurz vor Weihnachten oder, wie eben geschehen, vor der Sommerpause zur Verabschiedung ins Parlament zu geben. Es also gewaltig unter Zeitdruck zu setzen. Auf diese Weise werden kurzfristig anberaumte Expertenanhörungen zur Farce und eine ausführliche wie kritische Auseinandersetzung den Abgeordneten unmöglich gemacht. „Hau-Ruck-Verfahren“ heißt beschönigend diese überfallartige Gesetzgebung. – Ein weiterer, sich kaum mehr vom tatsächlichen Betrug unterscheidende Trick ist, das sogenannte Omnibusverfahren: Ein sehr fragliches Gesetz – wie vor zwei Jahren das zum Staatstrojaner – wird in einem anderen Gesetzespaket versteckt und kann dann zusammen mit diesem quasi unbemerkt verabschiedet werden.
In einer parlamentarischen Demokratie ist es die Aufgabe des Parlamentes, die Regierung zu kontrollieren. Und das heißt vor allem: Die Gesetzesvorhaben der Regierung gründlich zu prüfen. Denn das Parlament und nicht die Regierung ist der Gesetzgeber. Da Gesetze das Miteinander von Menschen bestimmen, sind sie allgemeine und für das ganze Volk verbindliche Regeln. Und deshalb ist es Aufgabe des Parlaments, den eigentlichen Souverän, die Wähler, in seine Entscheidungsfindung einzubinden. Dazu gehört, dass eine breite öffentliche Auseinandersetzung stattfindet, bevor ein Gesetz vom Parlament verabschiedet wird. –
Das jetzige, von der Großen Koalition und einem antidemokratischen Innenminister funktionalisierte Parlament genügt keiner dieser Anforderungen. Es sollte seinen Dienst quittieren.
WDR 3 Resonanzen 11. Juni 2019