Die Krise der politischen Linken spiegelt sich auch im Erschlaffen ihrer Protestformen. Wer sich am 1. Mai auf den Straßen umsah, musste feststellen, dass Demonstrationsumzüge viel, wenn nicht alles an ihrer einstigen Durchschlagskraft eingebüßt haben. Auch streikt kaum jemand mehr, – sieht man einmal von den schulschwänzenden Jugendlichen ab. Go-Ins und Sit-Ins existieren nur noch in den Erzählungen der Alt-68er. Hausbesetzungen sind zwar wieder leicht im Kommen, ansonsten beschränkt sich linker Aktionismus im Wesentlichen auf das matte Mittel der Online-Petition. Die hilft zwar meist nichts, tut dafür aber auch niemandem richtig weh.
Was dagegen wenigstens ein bisschen weh tut, ist der gute alte Tortenwurf. Zumindest hinterlässt er bei den Getroffenen ein gewisses Gefühl der Scham. Schlimmer noch als die Sahne im Gesicht und das versaute Kostüm fand das Tortenwurf-Opfer Sarah Wagenknecht vor drei Jahren die Beleidigung, durch den Wurf mit Beatrix von Storch auf eine Ebene gestellt worden zu sein. Denn die war kurz zuvor wegen ihrer menschenfeindlichen Äußerungen ebenfalls mit einer Sahnetorte bedacht worden. Das dafür verantwortliche „Peng Collective“, das der AfD den „Tortalen Krieg“ erklärte hatte, bezeichnete den Einsatz von Sahnetorten als „dringlichsten Ausdruck direkter Demokratie.“
Seit
dem zweiten, dem letzten Torten-Anschlag auf das Gesicht von Beatrix von Storch
Anfang vergangenen Jahres hört man allerdings nichts mehr von Tortenwürfen. Die
Attentäterin , die Studentin Loris S., beteuerte nach zwei Wochen
Gefängnisaufenthalt zwar, sie werde fortfahren mit dieser Art von Protestform.
Doch hat man seitdem weder von ihr noch vom „Peng Collective“ etwas gehört und
auch nicht von der Gruppe „Heilbronner Konditorei für konsequente Aufklärung“,
die für verschiedene Tortenattentate verantwortlich war . – Hat jetzt auch der
Tortenwurf als linke Aktionsform ausgedient?
Weit gefehlt. Man muss allerdings nach Großbritannien blicken, um seine gloriose Wiederauferstehung zu erleben. In anderer, zeitgemäßerer Gestalt freilich macht er dort von sich reden. Hier wird nicht mit Sahnetorten geworfen, sondern mit Milchshakes. Im Unterschied zur Torte ist der Milchshake völlig unaufwendig und auch wenig kostenintensiv in der Herstellung. Man kauft ihn einfach in der nächsten Fastfood-Filiale. Und: Seine Handhabung als Wurfgeschoss ist wesentlich unkomplizierter, die Treffgenauigkeit höher als die der Torte, die ohnehin schon schwer zu balancieren ist. Zudem ist der Milchshake völlig unauffällig, entsprechend überraschend sein Einsatz für die Betroffenen. Eine ganze Reihe rechtradikaler, rassistischer Politiker in Großbritannien haben diese bemerkenswerten Eigenschaften schon zu spüren bekommen. Typen wie der Gründer der neuen Brexit-Partei Nigel Farage trauen sich aus Furcht vor den cremigen Molotowcoctails schon gar nicht mehr auf die Straße. Dank Milkshaking steht der Untergang der Faschos im UK unmittelbar bevor.
Noch ein Grund, die bevorstehende Trennung von den Briten zu bedauern. Nicht nur im Fußball, auch im Klassenkampf wissen sie besser als die schlappen Kontinentaleuropäer, wo es lang geht. Und gibt es etwas Wichtigeres als Fußball und Klassenkampf?
WDR 3 Mosaik 5. Juni 2019